Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Um die Bewegungen der menschlichen Marionette lenken zu können, muss man
nur die Fäden kennen, die sie bewegen. Nicht von Eltern und Lehrern allein aber
wurde er erzogen. So auch von höheren, verborgenen und geheimnisvollen Mächten.
Das Leben mehr lieben, als den Sinn des Lebens. Es gibt kein unwiderrufliches
Unglück als Totsein. Der Durst nach einem besseren Dasein lässt ihn seine eigene
Lebensphilosophie manifestieren. Die Gitarre, die für alles einen Akkord bereithält,
ist der Schlüssel zu dieser anderen Welt.
Zusammen mit Volker Ehlert betritt Micky irgendwann an einem Sommer-abend
den »St. Gertrauden» Friedhof in Salzelmen. Dessen älteste Grabstellen entstammen
dem 14. Jahrhundert. In dieser imposanten und verwilderten Idylle sind sie bereit
ein neues Projekt anzugehen: Eine politische Rockoper. Mit der Lust am Risiko und
an der Übertretung wissen sie nicht wohin sie gehen. Aber sie tun es und lernen
immer mehr den Ungehorsam. Das Freisein. Das Misstrauen. Mit der Verfassung
ihres Vaterlandes im Gepäck, beabsichtigen sie diese Lügen zu strafen. Somit will
man eine thematische Grundlage bekommen.
Lediglich bei Paragraph 27 fällt es ihnen zu,
in »...jeder Bürger hat das Recht auf freie
Meinungsäußerung, gemäß dem Sinne der
Verfassung.«, eine Kontroverse aufzuzeigen.
Schnell merken sie das die sozialistischen
Ideologen unanfechtbare und ganze Arbeit
vollbracht haben. Sie kommen nicht weiter.
Volker E.: „Es lag an unserer Inkompetenz.“
Die 10. Weltfestspiele der Jugend in Berlin.
Die große Eröffnungsveranstaltung am 28.
Juli 1973 wird live im DDR-Fernsehfunk
übertragen. Im Foyer des Stadtparks sind
infolgedessen TV-Gerät und Klubsessel
aufgestellt. Klaus, Ronnie und Micky erleben
hier zusammen mit zehn bis fünfzehn
anderen Jugendlichen jene ihnen suspekt
Ronnie, Micky, Klaus
erscheinende pathetische Bambule. Sie zeigen sich
alles andere als hingerissen. Ronnie, der in der hintersten Reihe sitzt, kommentiert
in Folge das Geschehnis. Mit „Das hat es alles schon einmal gegeben!“ will er an
die großen Aufmärsche der Hitlerjugend im Dritten Reich erinnern. Leider sind es
nur wenige, die ihn verstehen. So erhebt Micky sich nach fünf Minuten, geht zum
TV-Gerät und drückt gezielt auf eine Taste. Als nun das ZDF sich einstellt, verlässt
der erste Teil der Anwesenden angstvoll seine Plätze und begibt sich in den Tanzsaal.
Gottes Vieh bleibt sitzen.
77