20.09.2021 Aufrufe

Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Das Gebäude ist unbeheizt, sie frösteln und beschließen den weiteren Abend in einem

Wirtshaus zu verbringen. Natürlich sind die heute selbstredend geschlossen, dass

wissen sie. Eventuell haben sie ja Glück in der »Mitropa«-Gaststätte des Bahnhofs.

Sie brechen auf. Beim Verlassen des Gotteshauses kommt man an einer Kollekte

vorbei. Hier greift Ecki zweimal ordentlich zu, denn dass in Erwartung stehende

Trinkgelage will finanziert sein. Trocken kommentiert Micky die Situation, als sie

später vor dem verriegelten Bahnhofsgebäude stehen: „Der Zug ist abgefahren.“

Den Jahreswechsel verbringt die Band auf dem Tontaubenschießstand. Die drei Titel

mit denen sie das Jahr 1974 einläuten, stellen das erste Gottes Vieh-Konzert dar.

Die Tontaubenschützen feiern in geselliger Männerrunde, was den Musikern bedingt

gefällt. Kurz nach Mitternacht verlassen sie den Ort und stürzen sich in die Nacht.

Sie wollen noch etwas erleben und in der Hoffnung auf ein paar Miniröcke betreten

sie eine knappe Stunde später den Jugenclub »Treff«. Doch der zeigt sich entvölkert,

die Party scheint gelaufen. Nach kurzer Übereinkunft besorgen sich die Drei von der

Bar eine große Flasche »Stonsdorfer-Kräuterlikör«. Wegzehrung. Ihr Ziel: Erneut

der Hummelberg. Um halb drei haben ist die Flasche leer und die drei Kilometer

erneut zurückgelegt. Doch auf dem Schießstand liegen fast alle Tontaubenschützen

mit ihren Köpfen auf den Tischen. Welch triste Szenerie! Ihre verbrauchten Kalorien

erneuern Klaus, Ecki und Micky mit Resten des Heringssalates. Um vier Uhr fällt

dann Micky schmerzenden Fußes endlich in sein Bett.

Überhaupt hat für Micky der Hummelberg etwas sinnlich-mystisches an sich. Schon

als Fünfjähriger suchte er diesen vor allem an Samstagvormittagen zu-sammen

mit seinem Großvater auf. Aus gutem Grund, denn immer war dies der Zeitpunkt,

da Opa Ernst vor seiner Frau die Flucht ergriff. Wollte er doch ihrer ausgiebigen

Putzwut nicht beiwohnen müssen, beziehungsweise entgehen. Die damals auf dem

Berg befindliche Gastwirtschaft hatte bereits geöffnet und so nahmen die beiden

in deren Biergarten unter den stattlichen Kastanien Platz. Opa nahm ein Bier für

vierzig und Micky bekam eine Fassbrause mit etwas Bierschaum für siebzehn

Pfennig. Abschließend vertrat man sich die Beine im anliegenden Forst. Micky stand

inmitten eines Kiefernwaldes. Das Sonnenlicht fiel in gedämpft staubigen Streifen

wie durch die hohen Fenster einer Kathedrale. Welche verborgenen Kräfte wurden

seiner gewahr? Noch war alles bloß Ahnung. Vorgefühl. Eine ferne Welt. Ferner als

der Mond. Es tut ihm gut, auf dem Weg zum Proberaum die hüglige und waldreiche

Umgebung zu durchstreifen. Dämmrig und geheimnisvoll. Mit einer Aura von Vergangenheit

und Ruhe umgeben. Für ihn kennt die Natur keine Niedertracht. Sie liegt

außerhalb der Begriffe von Gut und Böse. Sie hat keinen Charakter. Den Weizen der

Seele von der Spreu des Körpers trennen, hier ist es ihm möglich. Die Gedanken

in die Ferne gerichtet. Den Wunsch, unbeobachtet einen Baumstamm zu berühren.

Die Stirn an die Borke gelehnt, vernimmt er Stimmen im Geäst wie aus der Tiefe,

woher der Baum den Lebenssaft nimmt. Die Botschaft ist die Demut vor der Natur

und nicht ihre Überwindung. Die Wurzeln rufen. Drei Kilometer ist die Zivilisation

entfernt. Dieser Mechanismus, der diesen Planeten gegenwärtig kontrolliert.

85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!