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1997/98: Gottes Vieh
Zum Fototermin, er trägt wieder das gute Stück, erscheint er in braunen Halbschuhen.
Ohne Schnürsenkel. Die habe seine Frau entfernt, damit er ja nicht dieses Paar trage.
Doch Andi weiß sich zu wehren. So, als Thomas etwas verspätet an den Biertisch
ihrer Stammkneipe tritt. Hier sitzt er mit Norman, Klaus und Micky und begrüßt
Thomas mit den Worten: „Mensch, du siehst ja aus wie ein Schwuler!“ Denn für das
kommende Fotoshooting hatte Thomas einiges vorbereitet: An einen alten Mantel
der »Deutschen Reichsbahn« nähte er eine Art Schützenschnur und von einer Ledermütze
entfernte er den Schirm. Die so entstandene Kappe gab Andi Anlass für seine
Kritik.
Anfang November verbringen Klaus und Micky ein Wochenende in Marburg,
Klausens alter Heimat. Hier kontaktieren sie einige seiner ehemaligen musikalischen
Mitstreiter und lassen sich von ihnen sein vor Jahren eingebrachtes Equipment
aushändigen. Prallgefüllt mit Boxen und Verstärkern ist Mickys Kombi, als es retour
in den Osten geht.
Am 30. November durchstreift Gottes Vieh wie schon damals im Juni 1973 eine Band
gleichen Namens das Salzelmener Tannenwäldchen: Motivsuche für das für die lokale
Presse bestimmte Bildmaterial. Eine hierfür angeheuerte Magdeburger Fotografin
sagt kurzfristig ab und man ist in Eigenregie auf Stativ und Kameraselbstauslöser
angewiesen. Diesen versteht Mickys zehnjährige Tochter Winnie zu drücken.
Thomas und Micky wollen dem Andi, viel mehr seinem Instrument, etwas Gutes
tun. Dessen Äußeres zeigt sich gehörig zerschunden und so legen sie für eine
Farbspraydose zusammen. Schwarz, seidenmatt. Der Preis ordentlich gesenkt. Das
sie hoffnungslos überlagert ist, wird ihnen nicht offenkundig. So will die Bassgitarre
auch nach drei Tagen nicht trocknen. Der Andi fährt sie auf der nächsten Probe an,
denn recht schwarz zeigen sich dessen Handballen und Unterarm. Nach drei Wochen
endlich ist die Farbe trocken. Jetzt zeigt sich Andi entzückt: Die Oberfläche seines
Basses mutiert mittlerweile zu einer äußerst interessanten Struktur; alte und neue
Lackschicht fusionieren zu einer dekorativen Einheit.
Eine Art Feuertaufe bekommen sie am 27. Dezember 1997. Zwecks Einweihungsfeier
der neuen Proberäumlichkeit, werden ein Fass und drei Kästen Bier, zehn Liter
Glühwein, sowie Hackepeter,- bzw. Schmalzbrote geordert. Auf Bandkosten.
Geladen sind ausschließlich Verwandte, Bekannte und Freunde der Musiker. Denen
wollen sie einen repräsentativen Querschnitt ihres aktuellen Programmes vermitteln.
Gegen Mitternacht, die Stimmung der Gesellschaft hat ihren Höhepunkt erreicht,
sind es indessen ca. 60 Leute, die sich im Tonnengewölbe amüsieren. Der unter
ihnen weilende Liedermacher Andreas Schönfeld, ein ehemaliger Schönebecker,
lässt den Morgen mit Gesang zur akustischen Gitarre und aktiver Unterstützung des
Publikums ausklingen. Die letzten Gäste werden von Andi und Micky verabschiedet
und gegen vier Uhr steigen beide die Stufen aus dem Keller empor. Sichtlich
zufrieden mit sich und der Welt treten sie in den sich anbahnenden Tag.
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