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Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei

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Wildnis, sondern der Ordnung, die heilige Stadt auf dem Berge, darin alle Erlösten versammelt<br />

sind, auch die heilige Stadt, Civitas Dei, nicht Republik freilich, sondern unter einem Herr-<br />

scher, Gott.“ 6<br />

110<br />

Rufen wir noch einen großen internationalen Zeugen auf, der die Kontinuität zwi-<br />

schen antiker und mittelalterlicher Stadt leugnet, gleichzeitig aber die Kontinuität zwi-<br />

schen mittelalterlicher und moderner Stadt betont. Es handelt sich um den eminenten<br />

französischen Historiker Jacques Le Goff: „Heute lebt der größte Teil der Weltbevölkerung in<br />

Städten, was jedoch nicht bedeutet, daß alle Städter auf landwirtschaftliche Aktivitäten ver-<br />

zichtet haben. Man denke hier nur an Kinshasa oder an die chinesischen und ostrussischen<br />

Städte, die in dieser Hinsicht an die Städte des Mittelalters erinnern. Zu Beginn des 16. Jahr-<br />

hunderts wohnten dagegen höchstens 10 Prozent aller Einwohner Westeuropas in Städten.<br />

Nur 10 Prozent! Doch die Kreativität, die Machtposition und die Fähigkeit zum Warenaus-<br />

tausch dieser 10 Prozent standen in keinem Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil. Etwa so,<br />

wie ein Tropfen Farbstoff genügt, um einen ganzen Eimer Wasser zu färben.“ 7<br />

Die Früchte der Städte sind reichhaltig: Religion und Bildung, Wissenschaft und<br />

Künste. Im Mantel des Humanismus, der Renaissance und der Reformation, aus dem<br />

architektonischen Gedränge des Mittelalters heraustretend, freilich auch die Orte der alten<br />

Kirche bis in die Gegenwart bergend und ausgestaltend. Die rationale Klarheit der Neu-<br />

zeit ist uns vertraut, manchmal gesteigert bis zum Konstruktivismus, der auf dem Reiß-<br />

brett erzeugten Städte (Pienza, Palmanova, Mannheim, Nancy und Karlsruhe). Aufklärung<br />

und Revolution finden als Kampf um Städte und in den Städten statt, in denen und an<br />

deren Rand Industrialisierung ihre Fabriken installiert. Masse und Macht haben in den<br />

Kriegen des 20. Jahrhunderts Zerstörung und Wiederaufbau zur Folge. Aber die Städte<br />

überlebten.<br />

Wir konnten uns durch Jahrhunderte Städte ohne Mauern gar nicht vorstellen. 1961,<br />

also in der Gründungsphase des 1960 eröffneten Grazer „Forums Stadtpark“, wurde Fritz<br />

Wotruba, der wohl größte österreichische Bildhauer der Zeit nach 1945, berufen, das Büh-<br />

nenbild <strong>für</strong> die Inszenierung der „Antigone“ des Sophokles am Wiener Burgtheater zu<br />

schaffen. Wotruba entwarf eine metallene Mauer als Zeichen der Grenze zwischen Innen<br />

und Außen, als Zeichen des Gesetzes und der Ordnung. Die Symbolwelt dieser Bilder und<br />

Zeichen, stolze Verhüllung und stolze Abweisung, hat die Städte durch Jahrhunderte<br />

begleitet. Heute überschreitet die Stadt ihre territoriale Begrenztheit durch ideelle Ange-<br />

bote und Ansprüche. Sie wird entgrenzt und spannungsreich transzendiert.<br />

Gerade die finanziellen und kommunalen Probleme der Gestaltung und der Nachbe-<br />

treuung der Kulturhauptstadt Graz zeigen, dass <strong>Politik</strong>, Wirtschaft, Umwelt, Wissenschaft<br />

und Kunst nicht „naturwüchsig“ zu einem duftenden Garten zusammenwachsen. Lebens-<br />

qualität ist nicht wohlfeil, gerade wenn eine Stadt nicht nur sektoral als Museumsstadt<br />

interessant sein will. Die Pastelltöne nur historischer Größe und Schönheit, gerade bei der<br />

faszinierenden Grazer Altstadt eine große Versuchung, verblassen unaufhaltsam. Es geht

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