Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei
Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei
Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die Tschechische Republik<br />
vor den Toren Europas Karl Schwarzenberg<br />
Tiroler und Böhmen<br />
Es ist vielleicht dreißig Jahre her, da saß in Graz eine fröhliche steirische Runde um<br />
Landeshauptmann Krainer junior. Etwas verspätet stießen Sixtus Lanner, einer der Hoff-<br />
nungen der ÖVP damals, und der Schreiber dieser Zeilen zu dieser Gesellschaft, die sich<br />
mit der Lage Österreichs und den Möglichkeiten, die es gab, beschäftigte. Im Laufe des<br />
Abends stand einer der Teilnehmer auf und brachte einen Trinkspruch vor, der mit den<br />
Worten endete: „Trau schau wem – nur kan Tiroler und kan Böhm“. Da Sixtus Lanner aus<br />
der Wildschönau stammt und ich in Prag geboren bin, bekam ich einen Lachkrampf und<br />
Sixtus Lanner war etwas verwundert. Sowohl die Tiroler wie die Böhmen waren Völker weit<br />
hinter den Bergen, denen man mit gebotenem Misstrauen begegnen musste. Nicht zuletzt<br />
durch das Engagement von Josef Krainer <strong>für</strong> Südtirol mag die Kenntnis von und die<br />
Freundschaft zu Tirol unterdessen gewachsen sein, bezüglich der Böhmen bin ich mir<br />
heute noch nicht so sicher. Obwohl die Steiermark und die böhmischen Länder nicht nur<br />
im kurzen Zwischenspiel unter Prˇzemysliden-Zeiten, sondern nachher noch einmal seit<br />
dem Regierungsantritt Ferdinand II. bis zum Jahr 1918 unter einer Herrschaft verbunden<br />
waren, so ist auch durch den 40-jährigen Eisernen Vorhang die Kenntnis und das Wissen<br />
übereinander in beiden Ländern nicht allzu groß.<br />
In einem halben Jahr werden wir aber alle in einer Europäischen Union vereint sein<br />
– eine Vorstellung, die nach den Erlebnissen des 20. Jahrhunderts noch vielen von uns<br />
schwer fassbar scheint.<br />
Die heutige Tschechische Republik ist so wie Österreich oder Ungarn eines der klei-<br />
neren europäischen Länder, welches allerdings zum Unterschied zu Österreich, aber so<br />
wie Ungarn, durch 40 Jahre sowjetische Herrschaft und kommunistische Systeme gezeich-<br />
net ist. Den Ballast abzutragen und mit Österreich gleichzuziehen, wird – nicht nur in<br />
wirtschaftlicher Hinsicht – noch Jahre, Jahrzehnte dauern. Erinnern wir uns doch, wie<br />
lange Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg gebraucht hat, um nach dem Ende des<br />
Besatzungsregimes in allen Bereichen Westeuropas aufzuholen. 50 Jahre totalitäres<br />
Regime hinterlassen tiefere Spuren als bloß sieben, welche Österreich erleben musste.<br />
Generell kann man feststellen, dass die Bevölkerung der Tschechischen Republik<br />
dem Eintritt in die Europäische Union mit erwartungsvoller Skepsis entgegenblickt.<br />
Die 14 Jahre in der Warteschlange und die ebenso langen wie mühsamen Verhand-<br />
lungen, die von Deutschland und Österreich eingeforderte siebenjährige Frist <strong>für</strong> eine<br />
generelle Beschäftigungsfreiheit, die Auseinandersetzungen bezüglich des Kraftwerkes<br />
183