Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei
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Achtzehn Jahre lang hat Stingl diesen Mechanismus ausgereizt, der auf allen politi-<br />
schen Ebenen und quer durch die Parteien immer wieder ein Erfolgsrezept ist: Stingl als<br />
überparteilicher „Stadtpräsident“, Waltraud Klasnic als huldvolle „Landespräsidentin“.<br />
Nur Bundespräsident Thomas Klestil hatte stets zu wenig Charisma, um in diese Liga<br />
aufzusteigen.<br />
Für die politische Verfasstheit der Stadt Graz lernt man aus der jüngeren politischen<br />
Stadtgeschichte zweierlei: Erstens ist Graz immer schon eine bürgerliche, obgleich meist<br />
sozialdemokratisch regierte Stadt gewesen. Erfolgreiche <strong>Politik</strong>er waren hier immer jene<br />
mit betont bürgerlichem Habitus – der Reihenhausbewohner Stingl an erster Stelle. Zwei-<br />
tens ist das Bedürfnis nach einer starken Vaterfigur in der beschaulichen Pensionisten-<br />
stadt Graz besonders stark ausgeprägt. Kontinuität und Ruhe sind hier zeitlose urbane<br />
Größen, Unruhestifter und Nonkonformisten haben an der Mur einen schweren Stand.<br />
Davon konnte sowohl der unvergessene Erich Edegger mit seiner „sanften Mobilität“ ein<br />
Lied singen, als auch der ambitionierte, aber bei der Gemeinderatswahl 1998 chancen-<br />
lose Helmut Strobl. Irgendwie ist es bezeichnend: Der Quer- und Freigeist Strobl hat Graz<br />
den Titel „Kulturhauptstadt“ gebracht, geerntet haben die Lorbeeren aber die beiden<br />
Mainstreamer Alfred Stingl und Siegfried Nagl.<br />
Der Name als Programm<br />
Womit wir, endlich, beim Wahlgewinner vom Jänner <strong>2003</strong> angelangt wären. Siegfried<br />
Nagl hatte zuallererst einmal glänzende, instinktsichere Berater. Im Wahlkampf hielt er<br />
sich nicht lange mit umstürzlerischen sachpolitischen Ideen auf, sondern machte ganz<br />
unverhohlen den Namen zum Programm. Die grüne Ortstafel mit der schlichten Botschaft<br />
„Nagl“ wäre anderswo vielleicht kontraproduktiv gewesen, in Graz traf sie auf den Kopf.<br />
Der Kandidat und die ÖVP profitierten freilich von drei wichtigen Begleitphänomenen.<br />
Erstens war Amtsinhaber Stingl nach 18 Jahren verbraucht, er stand nicht mehr zur Wahl,<br />
seine Nachfolge in der Grazer SPÖ konnte bis zuletzt – im Grunde genommen bis heute<br />
– nicht glaubhaft geregelt werden. In der Stadt-SPÖ steht der finale Kampf zwischen dem<br />
in Machtpragmatismus erstarrten Betriebsräte-Clan und den in der Wolle gefärbten Links-<br />
ideologen noch aus. Zweitens wehte der Rückenwind von Wolfgang Schüssel über den<br />
Semmering und vermischte sich hier mit Klasnics hilfreichem Einfluss: Die politische<br />
Großwetterlage war im Jänner <strong>2003</strong> von Kopf bis Fuß auf ÖVP eingestellt. Drittens knab-<br />
berte der Skurrilkommunist Ernst Kaltenegger unverdrossen – und mittlerweile zum vier-<br />
ten Mal in Folge – derart erfolgreich am linken Rand der SPÖ, dass sich diese vollends<br />
nicht mehr zu helfen wusste.<br />
Herausgekommen ist das bekannte Wende-Ergebnis: Hatte Graz vorher 18 Jahre<br />
lang eine rechte Mehrheit, aber einen linken Bürgermeister, so hat die Stadt nun eine linke