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Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei

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sollte, verschob dieses Projekt in bewährter Weise aber auf das nächste Kulturhauptstadt-<br />

jahr 2053.<br />

Bis dahin würde man weiter diskutieren. Um diesen Diskussionsprozess gehörig vor-<br />

zubereiten, wandte man sich einem Projekt zu, das jene kommunikativen Erfahrungen<br />

nahegelegt hatte, das die Grazerinnen und Grazer bei Exkursionen in das grüne Herz<br />

Österreichs mit allen seinen Bypässen immer wieder machten. Man wollte systematisch<br />

erkunden, ob die weltweite Sprachverwirrung so weit fortgeschritten sei wie die steirische.<br />

Babylon, so brach es aus den bibelfesten Kultur- und <strong>Politik</strong>menschen hervor, Babylon<br />

müsse man im Kulturjahr bearbeiten. Die spontane Bereitschaft, sich mit Sprachverwir-<br />

rung zu befassen, fand bei jenen lichten Köpfen der Steiermark Resonanz, die einmal in<br />

ihrem Leben zur Formulierung eines ganzen, grammatikalisch richtigen Satzes vorstoßen<br />

wollten. Noch wichtiger die Schriftentwicklung: ein historisch interessantes Phänomen, da<br />

sich doch diese Kunstfertigkeit angesichts pädagogischer Fortschritte im Grundschulbe-<br />

reich dem Aussterben nähert. Also ein seipelianisches Babylon, Sprache, Schrift. Ein paar<br />

mesopotamische Trümmer, die noch nicht auf dem amerikanischen Kunstmarkt gelandet<br />

waren, wurden deshalb ins Jagdschloss geschafft, und man klotzte mit einem beeindru-<br />

ckend-umfassenden Achtkilo-Begleitpaket.<br />

Graz darf entlegen sein<br />

Aber eine Kulturhauptstadt macht man nicht nur aus der Not eigener Sprachschwä-<br />

che. Natürlich macht man Kultur wegen ernsthafter Dinge, wegen des Standortwettbe-<br />

werbes. Zu diesem Behufe muss man die sogenannte „Kultur“ pflegen, eine nicht näher<br />

beschreibbare Angelegenheit, die man gemäß der hiesigen Überzeugung am besten<br />

einem Intendanten zwecks grandioser Eventgestaltung überlässt. Nun liegt die Sache mit<br />

Graz schwieriger als mit anderen Bundesländern. Denn die Tiroler haben ihre Urigkeit:<br />

Jeder Mann von der Straße erscheint schon einem Bundesdeutschen wie ein Wesen vom<br />

anderen Stern. Und die Salzburger haben ihren Mozart und die Buhlschaft, verbinden<br />

Kultur und Geld und Sex. Die Wiener haben alles, und sie sind auch noch überzeugt<br />

davon. Aber Graz will auch etwas haben. Gäste, die freiwillig nicht kommen wollen, muss<br />

man herbeischaffen. Zu diesem Behufe gründete man flugs eine Fluglinie, die man mit<br />

dem täuschenden Namen „spirits“ versah, da<strong>für</strong> aber mit bestem Service ausstattete.<br />

Das ist deshalb wichtig, weil Graz tatsächlich eher am Rande Zentraleuropas liegt und<br />

von jenen Territorien, bei denen das Ranking der Ökonomen die europäischen Wachs-<br />

tumspotenziale verortet, recht unzugänglich ist. Nun wissen wir ohnehin: Rankings und<br />

andere Evaluierungen bringen erstens üblicherweise Unsinnsergebnisse hervor, aber der<br />

Zeitgeist will es so. Und solche Aktionen sind zweitens immer problematisch, weil man<br />

unvermutet im Zuge einer solchen Bewertung riskiert, dass zufällig die Wahrheit heraus-<br />

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