Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei
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kommt, auch bei intensivster Bewirtung der Evaluierungs-Teams und bester Honorierung<br />
der Ranking-Studien. Immerhin sind die steirischen Wirtschaftsdaten ja gar nicht so<br />
schlecht. Wenn man davon absieht, dass alle Aufschwungssignale immer nur mit den<br />
Zufälligkeiten einer Automobilindustrie zu tun haben, kann man recht zufrieden sein. Die<br />
steirische Randlage war jedenfalls seit jeher eine bequeme Erklärung <strong>für</strong> alle Zustände,<br />
und weil das präpotente Gehabe der deutschen Freunde die Einheimischen schon immer<br />
verdrossen hat, wollten sie auch keine Autobahn in die europäischen Zentren bauen.<br />
Diesen Affront verschleierten sie durch die Vorgabe einer innigen Naturbeziehung zu<br />
heimischen Vögeln.<br />
144<br />
Graz darf also entlegen sein. Manche Reisenden haben das Gefühl, hinter Graz<br />
beginne ohnehin bereits der Balkan, und sie verwenden diese Formulierung natürlich in<br />
politisch nicht korrekter Weise. Ein sensibler Grazer würde sagen: „Es könnte ja einen<br />
Tschuschen beleidigen, wenn man ‚Balkan’ sagt.“ Es gibt allerdings auch solche, die<br />
behaupten, der Balkan beginne schon ein deutliches Stück nördlich von Graz. Wir haben<br />
immer noch die Feststellung Herzmanovsky-Orlandos im Ohr, dass zuweilen in Leoben<br />
sinnend der Bahnhofsvorstand einem Zug nach Süden nachschaut, der in balkanischer<br />
Richtung spurlos verschwindet. Aber wenn wir die Exquisitheit der Züge zum Kriterium<br />
machen, dann beginnt natürlich der Balkan schon am Wiener Südbahnhof – mit<br />
Ausnahme der kroatischen Züge, die weitaus eleganter und sauberer sind als die<br />
ÖBB-lerischen. Aber dort am Bahnhof ist die wahre Grenze, und nicht am Semmering.<br />
Da die Grazer die quasi-urbane Variante jenes „wilden Bergvolkes“ sind, das den Baben-<br />
bergern jenseits des Semmering schon immer Angst gemacht hat, weigert sich der<br />
viennensische Stamm standhaft, sich durch eine Eisenbahnröhre mit den Wilden<br />
unmittelbar verbinden zu lassen. Die längere Fahrt über den Semmering mildert den<br />
Kulturschock.<br />
Graz darf stauen<br />
Aber im Kulturhauptstadtjahr gab es einen Kulturschock anderer Art. Graz wurde ein<br />
bisschen international, ragte plötzlich aus dem Gebüsch. Natürlich hat auch das alte, hei-<br />
matliche, unspektakuläre Graz einiges anzubieten: seine Altstadt, seine Dächerlandschaft,<br />
seine Burgreste, seine Rüstungen. Graz war in der Vernichtungswelle, die man als „Wirt-<br />
schaftswunderzeit“ zu bezeichnen sich angewöhnt hat, verschont geblieben. Denn dies<br />
war die Zeit, als man altes Gerümpel am liebsten weggerissen hat, um endlich an der<br />
Modernität voll und ganz teilzuhaben. Andernorts hat man dies mit vollem Elan betrieben;<br />
Graz hingegen war bis in die sechziger Jahre glücklicherweise wirtschaftlich so schwach,<br />
dass man das Geld zur großzügigen Modernisierung nicht aufbringen konnte. Also<br />
bewahrte man wider Willen die Bausubstanz; erst neuerdings regen sich wieder erfolgrei-