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Steirisches Jahrbuch für Politik 2003 - Steirische Volkspartei

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Sieben Thesen zum Österreich-Konvent Gerhart Holzinger<br />

1. Bewahren und erneuern<br />

In den mehr als 80 Jahren, die seit der Erlassung des Bundes-Verfassungsgesetzes<br />

vom 1. Oktober 1920 vergangen sind, hat sich die österreichische Bundesverfassung als<br />

rechtliche Grundordnung unseres Staates bewährt. Die Existenzkrise der Jahre 1933 bis<br />

1938 und der Existenzverlust in den Jahren 1938 bis 1945 sind ihr nicht anzulasten. (Sie<br />

machen freilich die Grenzen der Leistungsfähigkeit einer Verfassung deutlich.) Dieser<br />

positive Befund gilt allerdings nur <strong>für</strong> das Grundsätzliche. Im Detail erweist sich die Ver-<br />

fassung als reformbedürftig. Dies gilt in erster Linie <strong>für</strong> ihre formellen Mängel. Sie begin-<br />

nen damit, dass es „die österreichische Bundesverfassung“, also ein einheitliches Kodifi-<br />

kat sämtlicher bundesverfassungsgesetzlicher Regelungen, nicht gibt. Sie ist vielmehr<br />

über eine Vielzahl von Rechtsquellen verstreut und besteht aus einem kaum überschau-<br />

baren Sammelsurium zahlreicher Bundesverfassungsgesetze und Verfassungsbestim-<br />

mungen in einfachen Bundesgesetzen und Staatsverträgen. Das primäre Anliegen einer<br />

Verfassungsreform muss es daher sein, der österreichischen Bundesverfassung jenes Maß<br />

an Homogenität und textlicher Geschlossenheit zu geben, das der Grundordnung eines<br />

Staates angemessen ist. Dabei geht es nicht nur um Fragen der „Verfassungsästhetik“.<br />

Vieles deutet darauf hin, dass der – im internationalen Vergleich so eklatante – Mangel an<br />

Verfassungsbewusstsein in Österreich eine seiner Wurzeln in diesen formalen Defiziten<br />

hat. Der „schludrige“ Umgang der <strong>Politik</strong> mit der Verfassung, aber auch das in der Bevöl-<br />

kerung bestehende Desinteresse an Verfassungsfragen, sind ein politisch-gesellschaftli-<br />

ches Problem und kein bloß juristisches. Darüber hinaus gibt es aber auch inhaltlichen<br />

Reformbedarf, im Besonderen <strong>für</strong> den Bundesstaat und die Grundrechte. Gerade in die-<br />

sen Bereichen erweisen sich die Regelungen der österreichischen Bundesverfassung als<br />

suboptimal bzw. defizitär. Dagegen wird der verfassungsrechtliche Änderungsbedarf, der<br />

sich aus der verfassungsrechtlichen Entwicklung der EU – der Österreich seit 1. Jänner<br />

1995 als Mitglied angehört – ergibt, mitunter überschätzt.<br />

2. Aus Erfahrung lernen<br />

Die mit dem Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 geschaffene Verfas-<br />

sung der damals neuen Republik war in manchem lückenhaft. Im Besonderen traf dies <strong>für</strong><br />

die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, die Finanz-, die Schul- und die Gemeindever-<br />

fassung sowie <strong>für</strong> den Grundrechtskatalog zu. Die erstgenannten Bereiche wurden mit der<br />

Verfassungs-Novelle 1925, mit dem Finanz-Verfassungsgesetz 1948 und mit der Schul-<br />

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