Kompetenzentwicklung in Start-up-Unternehmen - ABWF
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Lebenslauf- und Biografieforschung haben e<strong>in</strong>e lange Tradition. 20 Während die<br />
Lebenslaufforschung im Längsschnitt die Abfolge von „objektiven Ereignissen“<br />
verfolgt, um Statuspassagen zu ermitteln, beabsichtigt die Biografieforschung, die<br />
Probanden zu Wort kommen zu lassen, um aus deren Perspektive die Rekonstruktion<br />
ihrer Lebensgeschichte vorzunehmen (Lamnek 2002).<br />
E<strong>in</strong>e methodische Schwachstelle unseres Vorgehens, die wir nicht verschweigen<br />
möchten, liegt dar<strong>in</strong> begründet, dass wir den biografischen Ansatz nicht von Anfang<br />
an explizit und systematisch verwendet haben. Durch den Interviewleitfaden,<br />
durch Struktur, Fragestellung und Wortwahl haben wir die Selbstdarstellung der<br />
Proband(<strong>in</strong>n)en und damit das Erzählen relevanter Geschichten explizit oder implizit<br />
stark e<strong>in</strong>geschränkt. Es treten wohl Geschichten zutage, die sich auch als<br />
„Schlüsselgeschichten“ lesen lassen, aber z. T. am Rande der Interviews, e<strong>in</strong>geengt<br />
durch die Fragestellung, manchmal geradezu trotz unseres Interviews. Welche Geschichten<br />
die Befragten <strong>in</strong> ihrem Leben selbst für relevant halten, Geschichten, die<br />
vielleicht gar nicht zur Sprache kamen, weil wir ihnen ke<strong>in</strong>en Raum gegeben haben,<br />
können wir nicht wissen. Es fehlt also die ganze „Gestalt“ (Rosenthal 1995).<br />
Zweitens ist anzumerken, dass wir ausschließlich mit dem während der Befragung<br />
angefallenen Material und unseren E<strong>in</strong>drücken gearbeitet haben. Die „Geschichten“<br />
s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Biografien, sie bewegen sich vielmehr zwischen dem gehörten Text<br />
und unseren Interpretationen und werden bei jeder Erzählung und bei jedem Zuhören<br />
verändert. Sie stehen somit als Konstrukt vermittelnd zwischen Forschungssubjekt<br />
und Forschungsobjekt. Wir erheben also nicht den Anspruch, das tatsächliche<br />
Geschehene objektiv rekonstruiert zu haben. E<strong>in</strong>e dabei auftretende Schwierigkeit<br />
liegt dar<strong>in</strong>, dass unsere Gründer(<strong>in</strong>nen) auf e<strong>in</strong>e unterschiedlich lange Zeit<br />
seit der Gründung zurückschauen und e<strong>in</strong> Bias, z. B. aufgrund der nachträglichen<br />
Rationalisierung von Faktoren des <strong>Unternehmen</strong>serfolgs oder -misserfolgs, nicht<br />
ausgeschlossen werden kann. Auch können die Geschichten durch ständige Weitergabe<br />
und Modifizierung mittlerweile zum „Mythos“ geronnen se<strong>in</strong>. So sprechen<br />
wir z. B. von Gründungsmythen. Diese können wiederum für verschiedene<br />
Zwecke funktionalisiert worden se<strong>in</strong> und dadurch e<strong>in</strong>e Eigendynamik entwickelt<br />
haben.<br />
Methodisch bewegen wir uns mit unserem Methodenmix sowohl im Kontext des<br />
quantitativen wie des qualitativen Paradigmas, <strong>in</strong>dem quantitative und qualitative,<br />
auf objektive Merkmale wie auf subjektive Interpretationen zielende Erhebungs-<br />
und Auswertungsstrategien mite<strong>in</strong>ander komb<strong>in</strong>iert werden. Diese Vorgehensweise<br />
ist <strong>in</strong> der angewandten Forschung heute durchaus üblich, um die Stärken beider<br />
20 Ihren ersten Durchbruch hatte die Biografieforschung <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
<strong>in</strong> der psychiatrischen Diagnose, als soziologische Methode wurde sie erstmals von Thomas und<br />
Znaniecki kurz nach dem Ersten Weltkrieg e<strong>in</strong>gesetzt (1918/22; gekürzte Neuausgabe 1984).<br />
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