Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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9.3 Kassel 3 Frau Becker<br />
Frau Becker ist 1927 als mittleres von drei Kindern eines Elektrikers <strong>und</strong> einer Hausfrau geboren<br />
worden. Sie lebt heute in einem Seniorenapartment, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Sie<br />
verfügt über ca. 1400 Euro Rente monatlich. Nach der Volksschule <strong>und</strong> einer Berufsausbildung als<br />
Verkäuferin arbeitete Frau Becker als Strickerin <strong>und</strong> Verkäuferin. Diese Tätigkeit unterbrach sie<br />
nach der Geburt ihres Sohnes kurz <strong>und</strong> setzte sie daraufhin halbtags fort. Sie arbeitete bis 1981. In<br />
diesem Jahr verstarb ihr Mann, ein Dreher. Ihr Sohn hat ebenfalls Dreher gelernt <strong>und</strong> ist jetzt Inhaber<br />
eines Outdoor-Geschäftes.<br />
Frau Becker beschreibt sich selbst als politisch desinteressiert. Sie ist nie Mitglied einer Partei oder<br />
Gewerkschaft gewesen. Die evangelische Kirche besucht sie „drei bis vier Mal im Jahr“. Sie war eine<br />
Zeit lang ehrenamtlich im Wassersportverein tätig. Politik hat in ihrer Familie wie in ihrer Ehe keine<br />
Rolle gespielt. Auch heute vermutet sie nur, dass ihr Sohn die gleichen politischen Ansichten hat<br />
wie sie. Frau Becker wählt auch gelegentlich nicht, weil sie sich nicht entscheiden kann. Als ihr<br />
Mann noch lebte, wählte sie, was er ihr sagte, in der Regel SPD. Heute kann sie sich vorstellen, die<br />
Grünen zu wählen <strong>und</strong> favorisiert eine rot-grüne Koalition. Auch in ihrem Bekanntenkreis spielt<br />
Politik eine geringe Rolle. Frau Becker berichtet von einer Fre<strong>und</strong>schaft mit einem CDU-Mitglied. In<br />
dieser Bekanntschaft wird Politik bewusst vermieden, um nicht in Streit zu geraten.<br />
Das Interview mit Frau Becker gestaltete sich schwierig. Sie ist am Thema wenig interessiert <strong>und</strong><br />
redet eher wenig. Obwohl in der quantitativen Vorerhebung eine angenehme Gesprächsatmosphäre<br />
herrschte, antwortet Frau Becker kurz <strong>und</strong> gerät nicht in Redefluss. Eine Ausschmückung ihrer<br />
Biografie durch Erzählungen erfolgt nicht; sie scheint ein sachliches Frage-Antwort-Schema zu<br />
erwarten. Frau Becker verstarb vor der zweiten Interviewwelle.<br />
9.4 Kassel 4 Frau Hoffmann<br />
Frau Hoffmann, geboren 1925, ist eines der mittleren von acht Kindern eines arbeitslosen Schneiders<br />
<strong>und</strong> einer Hausfrau. Frau Hoffmann lebt auch heute noch in der Siedlung, in der ihre Eltern ein<br />
Haus bauten. Die Siedlung wurde in den frühen 30er Jahren für kinderreiche Erwerbslose konzipiert.<br />
Frau Hoffmann pflegte über mehrere Jahre ihren an Alzheimer erkrankten Mann. Durch die<br />
Pflegekosten die gesamten Ersparnisse aufgebraucht wurden. Nach seinem Tod lebt sie von ca. 750<br />
Euro Rente. Die Familie der Tochter von Frau Hoffmann lebt in der Nähe der Mutter. Das zweite<br />
Interview findet in der Wohnung der Befragten statt. Dabei handelt es sich um ein kleineres Haus,<br />
in dem sie das Erdgeschoss bewohnt. Es stellt sich heraus, dass die Tochter <strong>und</strong> der Schwiegersohn<br />
im Obergeschoss leben.<br />
Frau Hoffmann absolvierte als einziges der insgesamt sechs Mädchen nach der Volksschule eine<br />
Lehre. Sie setzte sich dabei mit Unterstützung eines ehemaligen Lehrers gegen den Vater durch, der<br />
dies bei Mädchen für überflüssig hielt. Frau Hoffmann heiratete 1945. Ihr Mann stammte aus der<br />
Nachbarschaft <strong>und</strong> arbeitete wie Frau Hoffmann im Flugzeugbau. Frau Hoffmann arbeitete bis zur<br />
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