Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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9.5 Kassel 5 Frau Wagner<br />
Frau Wagner wurde 1927 in Oberschlesien als Tochter eines Zollbeamten <strong>und</strong> einer Hausfrau geboren.<br />
1944 flüchtete die Familie ins heutige Sachsen-Anhalt. 1949 ging die Befragte nach Nordhessen<br />
<strong>und</strong> holte ihre Eltern 1963 nach. Ihre Eltern verstarben beide 1975.Frau Wagner ist das mittlere<br />
Kind von drei Geschwistern. Ihr <strong>älterer</strong> Bruder wurde 1943 vermisst gemeldet, der jüngere ist<br />
Fliesenlegermeister, der später ebenfalls in den Westen übersiedelte. Frau Wagner schloss die<br />
Handelsschule ab <strong>und</strong> arbeitete als Büroangestellte, nach ihrer Übersiedlung nach Nordhessen<br />
zunächst in einem Krankenhaus, später als Büroangestellte in einer Behörde. 1969 heiratete sie<br />
einen gleichaltrigen Förster. Die Ehe blieb kinderlos. Nach ihrer Heirat gab Frau Wagner ihre Berufstätigkeit<br />
auf, da sie nicht „zwei Herren dienen“ wollte. Sie verfügt über 550 Euro eigene Rente.<br />
Sie lebt mit ihrem Mann in einem eigenen Reihenhaus in einem typischen Mittelschichtstadtteil von<br />
Kassel.<br />
Frau Wagner war nie Mitglied einer Partei oder Gewerkschaft. Frau Wagner ist katholisch. Sie besucht<br />
jeden Sonntag die Kirche <strong>und</strong> mehrmals wöchentlich verschiedene Veranstaltungen der<br />
Kirchgemeinde. Ihr Mann ist evangelisch <strong>und</strong> ebenfalls regelmäßiger Kirchgänger, oft auch in der<br />
Gemeinde seiner Frau. Im Interview wird deutlich, dass Politik nicht zu ihren Hauptinteressen gehört.<br />
Die Befragte nimmt Politik eher im Rahmen eines allgemeinen Informationsbedürfnisses<br />
wahr. Sie ist über aktuelle politische Vorgänge informiert <strong>und</strong> bespricht diese mit ihrem Mann oder<br />
politisch Gleichgesinnten, mit einiger Zurückhaltung auch mit Angehörigen des anderen politischen<br />
Lagers. Die Befragte empfindet die Beteiligung an Wahlen als Pflicht <strong>und</strong> wählt wie ihr Mann immer<br />
CDU. Sie hat eine klare Präferenz für Stoiber als Kanzler, ist sich aber unsicher, ob sie eine große<br />
Koalition oder eine schwarz-gelbe Koalition bevorzugt. Frau Wagner begründet ihre Bindung konfessionell.<br />
Sie gibt an, über die politischen Orientierungen ihrer Eltern nicht genau informiert gewesen<br />
zu sein. In ihrer Herkunftsfamilie zeichneten sich die Mutter <strong>und</strong> deren Schwestern durch<br />
ein ausgeprägtes politisches Interesse aus. Die Wahlabsicht <strong>und</strong> die etwas unklaren Koaltitionspräferenzen<br />
treten auch beim zweiten Interview auf.<br />
Der Kontakt zu Frau Wagner wurde im Gegensatz zu den anderen Befragten nicht über eine vermittelnde<br />
Institution hergestellt. Sie wurde vor einer Kirche nach Ende eines Gottesdienstes direkt<br />
angesprochen, da durch das angewendete Samplingverfahren in der Untersuchungsregion keine<br />
Katholikin angeworben werden konnte. Das Interview war durch eine fre<strong>und</strong>liche Atmosphäre<br />
gekennzeichnet, die ihren Niederschlag in einem längeren Nachgespräch fand, zu dem nach dem<br />
ersten Interview auch der Ehemann stieß.<br />
Möglicherweise bedingt durch die abweichende Form der Kontaktanbahnung trat im Interview bei<br />
der Befragten eine Unsicherheit in der Aussagebereitschaft zu ihrem <strong>Wahlverhalten</strong> auf. Bereits vor<br />
Beginn des Interviews äußerte Frau Wagner Bedenken hinsichtlich der Verwendung ihrer Aussagen,<br />
die aber ausgeräumt werden konnten. Die Unsicherheit im Interview versuchte die Befragte<br />
durch eine Gegenfrage nach der Parteibindung des Interviewers zu überwinden. Nur in diesem<br />
Interview wurde die vor der Interviewphase entwickelte Strategie angewendet, in einem solchen<br />
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