Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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(Cumming & Henry 1961, 216). In der weiteren Entwicklung der Theorie des Disengagements wurden<br />
besonders die Fragen des Zusammenhangs mit Persönlichkeitstypen <strong>und</strong> Persönlichkeitseigenschaften<br />
untersucht (Cumming 1963).<br />
Eine Fortführung von zentralen Überlegungen des Disengagementansatzes, die besonders die entwicklungspsychologische<br />
Dimension hervorheben, liefert der Ansatz der Gerotranszendenz<br />
(Tornstam 2005). Ausgehend von Eriksons (1965 [1950], 262) Phasenmodell menschlicher Entwicklung<br />
wird aus der Perspektive der humanistischen Psychologie eine theoretische Neukonzeption<br />
der letzten Phase individueller menschlicher Entwicklung geliefert. Die Gr<strong>und</strong>überlegung ist<br />
ähnlich wie im Disengagementansatz, dass die letzte Stufe menschlicher Entwicklung mit Rückzug<br />
<strong>und</strong> einer das Leben abschließenden psychischen Neuorientierung verb<strong>und</strong>en ist, <strong>und</strong> sich insofern<br />
entscheidend von bisherigen Lebensphasen unterscheidet. Auch hier spielt also der Tod als<br />
unabänderlicher Endpunkt des Lebens die zentrale Rolle. Die Bewältigung dieser letzten Statuspassage<br />
wird als die zentrale Aufgabe für Menschen in der letzten Lebensphase interpretiert <strong>und</strong> als<br />
Ergänzung des Schemas von Erikson verstanden. Eriksons achte <strong>und</strong> letzte Entwicklungsstufe stellt<br />
den Widerstreit zwischen der Integrität des Ego <strong>und</strong> Verzweiflung dar. Unter Ich-Integrität versteht<br />
Erikson (1965 [1950], 262-269; 1981 [1966] 147f.) die Reifung des Menschen zu einem Selbst, das<br />
durch die Akzeptanz des eigenen Lebens <strong>und</strong> der Gegebenheiten der Welt gekennzeichnet ist. Als<br />
zur Bewältigung dieser Lebensphase notwendige letzte Gr<strong>und</strong>tugend steht hier die Weisheit, die<br />
vor der Gefahr der Nichtbewältigung der Herausforderungen dieser Lebensphase in Form von Verzweiflung<br />
<strong>und</strong> Angst vor dem Tod schützt (vgl. 1993, 608f.; Baltes 1993). Baltes (1993, 586, Hervorhebungen<br />
im Original) betont in seiner Konzeption von Weisheit als Element des <strong>Alter</strong>ns „at the<br />
center of wisdom are questions concerning the conduct, interpretation and meaning of life”.<br />
Tornstams zentrale Überlegung, die sich auf Neuinterpretationen von Bef<strong>und</strong>en unterschiedlicher<br />
Studien <strong>und</strong> eigene empirische Forschungsarbeiten mit alten Menschen <strong>und</strong> Pflegekräften stützt,<br />
ist, dass in hohem Lebensalter Menschen zunehmend einen Zustand der Gerotranszendenz erreichen.<br />
Gerotranszendenz ist dabei nicht religiös oder metaphysisch zu verstehen, sondern vielmehr<br />
im Sinne eines Zustandes der Überschreitung von Begrenzungen <strong>und</strong> des Hintersichlassens der mit<br />
individuellen menschlichen Entwicklungen einhergehenden Herausforderungen (Tornstam 2005,<br />
40f. <strong>und</strong> 73f.). Die Entwicklung von Gerotranzendenz äußert sich in der abnehmenden Tendenz<br />
sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen <strong>und</strong> abnehmendem Interesse an oberflächlichen sozialen<br />
Aktivitäten sowie materiellen Dingen. Zeit gewinnt an Bedeutung für das Individuum <strong>und</strong> wird im<br />
weitesten Sinne meditativ verbracht wird. Auf emotionaler Ebene steigt das Gefühl der Zusammengehörigkeit<br />
mit vergangenen <strong>und</strong> zukünftigen Generationen <strong>und</strong> einem kosmischen Ganzen. Die<br />
Entwicklung von Gerotranszendenz geht einher mit einer Neudefinition von Zeit, Raum <strong>und</strong> Objekten,<br />
sowie einer Neuausrichtung der Wahrnehmung hinsichtlich Leben <strong>und</strong> Tod. Übereinstimmend<br />
mit Erikson nimmt bei “erfolgreicher“ Bewältigung des Übergangs in die letzte Entwicklungsphase<br />
die Angst vor dem Tod ab.<br />
Während der Rückzug als zentrales Moment des Disengagementansatzes ein Insichzurückziehen<br />
der Individuen bedeutet, begründet das Konzept der Gerotranzendenz eine gr<strong>und</strong>legend neue Defi-<br />
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