Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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me. Das Interview gleicht in der angenehmen Atmosphäre, der politischen Informiertheit <strong>und</strong> der<br />
Lebhaftigkeit dem ersten Interview. Frau Schmidt wählte bei beiden Wahlen SPD. Im zweiten Interview<br />
werden gr<strong>und</strong>legende politische Einstellungsmuster unverändert vorgef<strong>und</strong>en, aber auch<br />
wesentliche biographische Episoden in ihrer Bedeutung für die politische Sozialisation der Befragten<br />
bestätigt.<br />
Während des Interviews weist Frau Schmidt daraufhin, dass ihre Tochter eine Anhängerin der<br />
Grünen sei. Da diese hinsichtlich des <strong>Alter</strong>s in die untersuchte Gruppe passt, ergibt sich im Nachgespräch,<br />
dass diese (Frau Fischer) in die Gruppe der Befragten aufgenommen werden kann. Dieses<br />
Interview fand eine Woche nach dem Interview mit Frau Schmidt statt. Die Interviewtenanbahnung<br />
mit der Tochter war aus zwei Gründen interessant. Erstens handelt es sich mit einer überzeugten<br />
Grünenwählerin in Ostdeutschland um eine in qualitativen Samplingverfahren kaum gezielt erfassbare<br />
Gruppe, die als Fall interessant ist. Zweitens handelt es sich um eine Möglichkeit, etwas über<br />
die Muster politischer Sozialisation in einer Familie mit einer politisch sehr interessierten Mutter<br />
zu erfahren.<br />
9.16 Erfurt 6 Frau Neumann<br />
Frau Neumann ist 1925 in der Lüneburger Heide geboren worden <strong>und</strong> lebt seit einem halben Jahr<br />
in einer Pflegeeinrichtung in Erfurt. Der Kontakt zu ihr wurde über die Pflegeeinrichtung hergestellt.<br />
Bis zu ihrem Einzug in die Einrichtung lebte Frau Neumann bei ihrer Enkelin <strong>und</strong> zog dort<br />
wegen deren Kinderwunsch aus. Ihr derzeitiges Einkommen beziffert sie ungenau <strong>und</strong> in der alten<br />
Währung auf ca. 1200 plus 1000 Mark. Sie lebt dort in einem typischen Seniorenapartment mit<br />
wenigen persönlichen Gegenständen, die sich am ehesten dem traditionellen Arbeitermilieu zuordnen<br />
lassen.<br />
Frau Neumann arbeitete nach der Volksschule 30 Jahre lang als Verkäuferin, leitete danach eine<br />
Mitropa-Gaststätte. Nachdem sie drei Jahre als Nachrichtenhelferin tätig war, heiratete sie 1947<br />
einen fünf Jahre älteren Mann, der zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bei der Marine war. Nach<br />
dem Krieg zog die junge Familie in die Heimat des Mannes nach Erfurt. Der Mann, der nach dem<br />
Krieg als Straßenbaumeister tätig war, verstarb 1983. Frau Neumann hat drei Kinder, die im Abstand<br />
von sechs Jahren geboren wurden <strong>und</strong> als Serviererin, Straßenbaumeister <strong>und</strong> Klempner<br />
tätig sind. Frau Neumann ist das zweite von insgesamt drei Kindern, die nach dem Krieg im Westen<br />
waren. Ihr jüngerer Bruder ist Friseurmeister, ihre ältere Schwester ist ohne Beruf. Ihr Elternhaus<br />
beschreibt Frau Neumann als problematisch. Die Eltern trennten sich früh <strong>und</strong> ließen sich scheiden.<br />
Frau Neumann wuchs, mit einer halbjährigen Unterbrechung in der bayrischen Heimat des Vaters,<br />
eines Seemanns, bei der Mutter auf. Die ökonomisch sehr schwierige Situation der vaterlosen Familie<br />
wird durch die liebevolle Art der Mutter ausgeglichen, so dass Frau Neumann heute ihre Kindheit<br />
<strong>und</strong> Jugend als eine sehr schöne Zeit beschreibt.<br />
Frau Neumann ist politisch desinteressiert. Sie war nie Mitglied einer politischen Partei, ist 1947<br />
aus der Kirche ausgetreten <strong>und</strong> war neben dem FDGB auch Mitglied des Deutschen Demokrati-<br />
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