Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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9.10 Brandenburg 3 Frau Schröder<br />
Frau Schröder wurde 1934 in Leipzig als Tochter eines Gärtners <strong>und</strong> einer Verkäuferin geboren.<br />
Nach Abschluss der Volksschule erlernte sie den Beruf der Damenschneiderin. Sie hatte zwei Geschwister,<br />
einen älteren Bruder, der Bergmann war <strong>und</strong> eine jüngere Schwester, die mit zwölf Jahren<br />
verstarb. Die Befragte heiratete 1957 einen Mechaniker, der 1990 verstarb.<br />
Frau Schröder hat einen Sohn, der 1960 geboren wurde <strong>und</strong> Säureschützer ist. Bis zum Tod des<br />
Mannes arbeitete die Befragte in dem Kfz-Regenerierungsbetrieb, den ihr Mann selbstständig führte.<br />
Danach führte sie mehrere Jahre einen Kiosk. Sie lebt seit 1993 mit der Familie ihres Sohnes in<br />
zwei kleinen Häusern, die ehemals die Wochenendhäuser der Familie waren, von einer bedingt<br />
durch ihren Status als „mitarbeitende Ehefrau“ eine kleine Rente von 175 Euro <strong>und</strong> zusätzlich 185<br />
Euro Witwenrente. Haus <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stück machen einen ungepflegten Eindruck, was auch mit der<br />
unklaren Eigentumssituation des Gr<strong>und</strong>stücks zusammenhängt. Frau Schröder ist dem traditionslosen<br />
Arbeitermilieu zuzuordnen <strong>und</strong> ist physisch durch ein hartes Arbeitsleben gezeichnet.<br />
Frau Schröder war bis zu ihrer Tätigkeit in dem Kleinbetrieb ihres Mannes Mitglied im FDGB <strong>und</strong><br />
wurde dann „rausgeschmissen“. Frau Schröder war nie Mitglied einer Kirche. Das Interesse der<br />
Befragten für Politik ist sehr gering <strong>und</strong> findet sich in einer Strategie der Politikvermeidung im<br />
Medienkonsum wieder. Frau Schröder ist „keine große Wählerin“. Sie gibt an, bei der B<strong>und</strong>estagswahl<br />
1998 für die SPD gestimmt zu haben. In der DDR ist sie aus Angst vor negativen Folgen regelmäßig<br />
wählen gegangen. Heute spielt soziale Kontrolle für die Wahlbeteiligung immer noch eine<br />
Rolle. Frau Schröder vermittelt den Eindruck, wenige Erwartungen an Politik <strong>und</strong> ein geringes Vertrauen<br />
in Politiker zu haben. Ihre Wahrnehmung der politischen Situation ist gekennzeichnet <strong>und</strong><br />
dominiert durch eigene Erfahrungen wie die geringe Rente, Kosten der eigenen Krankheit <strong>und</strong> der<br />
Pflegebedürftigkeit der mittlerweile verstorbenen Mutter. Ein weiterer Aspekt, der in dem Gespräch<br />
deutlich wird ist ein ausgeprägtes „ostdeutsches Selbstverständnis“.<br />
Die Befragte ist zu Beginn des ersten Gesprächs zurückhaltend, aber konzentriert. Sie ist sich über<br />
ihr geringes politisches Wissen bewusst <strong>und</strong> vermittelt den Eindruck, dass ihr dies unangenehm ist.<br />
Auf das eigentliche Interview folgt ein längeres Nachgespräch in dem die Befragte wesentlich lebhafter<br />
ist. Dies deutet daraufhin, dass die geringe Responsivität der Befragten im Interview, durch<br />
bestimmte Erwartungen an die Situation des Interviews herbeigeführt wurde <strong>und</strong> sich Frau Schröder<br />
bemühte, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Auffallend war, dass die Befragte im Interview<br />
selten Augenkontakt zum Interviewer aufnahm.<br />
Die ausführliche „Unterhaltung“ am Ende des ersten Interviews wurde in wesentlichen Teilen protokolliert,<br />
da Frau Schröder in diesem non-direktiven Befragungsteil eine Reihe persönlicher Erlebnisse<br />
<strong>und</strong> Begründungen für ihre Haltungen lieferte. Im zweiten Interview ist die Befragte deutlich<br />
entspannter.<br />
Durch eine Änderung der Telefonnummer nahm die Befragte leider nicht an den telefonistischen<br />
Befragungen der ersten Befragungswelle teil. Der Kontakt zur Befragten zur zweiten Welle wurde<br />
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