Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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Diese Distanzierung zum Nationalsozialismus wirkt als eine Art übergeordnetes Bewertungskriterium<br />
von Politik <strong>und</strong> beinhaltet oft auch eine deutliche Abgrenzung zum Rechtsextremismus (Frau<br />
Meier KS1; Frau Hoffmann KS4; Frau Zimmermann EF1; Frau Schmidt EF5) 145 .<br />
Neben Befragten, die offen <strong>und</strong> unbefangen ihre Erlebnisse des Nationalsozialismus darstellen,<br />
finden sich auch Muster der Abwehr <strong>und</strong> des Verschweigens. Diese sind in der Forschungsliteratur,<br />
im Bereich der psychologischen, psychoanalytischen oder zeitgeschichtlichen Biographieforschung<br />
auf Basis narrativer Interviews umfassend dargestellt 146 . In einigen Interviews finden sich Momente<br />
des Verschweigens <strong>und</strong> des bewussten Ausklammerns von Aspekten des Nationalsozialismus.<br />
Diese betreffen oft die Rolle des Nationalsozialismus im Elternhaus, wenn wie bei Frau Schulz<br />
(KS2) oder Frau Koch (BS2) die Eltern oder Schwiegereltern Funktionäre von NS-Organisationen<br />
waren. Dies kommt gelegentlich in den Vorgesprächen zur Sprache <strong>und</strong> wird dann erkennbar zögerlich<br />
<strong>und</strong> knapp erläutert. Bei Frau Schneider (KS7) grenzt dies an eine verzerrende Darstellung,<br />
die zu einer Fehlinterpretation in der Interviewsituation führt. Sie erläutert im Vorgespräch zunächst,<br />
dass ihr Vater im KZ gestorben sei. Bei der Nachfrage nach den Geburts- <strong>und</strong> Todesdaten<br />
der Verwandtschaft nennt sie einen Zeitpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf die direkte Nachfrage<br />
antwortet sie zunächst unklar. Erst im Interview erläutert sie, dass es sich um ein Internierungslager<br />
der russischen Armee gehandelt habe (siehe nächster Abschnitt). Andere Befragte wenden<br />
teilweise ein Muster an, dass von Rosenthal (1990, 237) als „Strategie der Entpolitisierung der<br />
NS-Vergangenheit“ beschrieben wird. Noch klarer wird das Muster, wenn man die Aussagen von<br />
Frau Schwarz (EF4) mit den thematisch ähnlichen Erklärungen von Frau Hoffmann (KS5) kontrastiert.<br />
Die Sequenz wird eingeleitet mit der bereits dargestellten Erinnerung an das Abhören der<br />
Feindsender (siehe Abschnitt 10.3.1.).<br />
EF 4_1 (196)<br />
FRAU SCHWARZ: Das haben wir auch damals nur heimlich. Da war ich ja sogar noch<br />
nen Schulkind. Ich meine wir hatten nur Angst vor der Bombardierung <strong>und</strong> was wird<br />
mit uns, unseren Angehörigen (…) Deswegen haben wir gehorcht <strong>und</strong> nicht wer hier<br />
den Krieg gewinnt. (…) Wie wussten ja überhaupt nischt. (…) Wir waren ja dumme<br />
Kinder. (…) Und in der Schule wurde bei meinen Lehrern, die ich hatte, wurde über<br />
Politik nicht gesprochen. Da ging ich sogar noch in die, in den Religionsunterricht zu<br />
der Zeit wie ich noch in der Schule war. Und dann bin ich noch konfirmiert <strong>und</strong> dann<br />
bin ich ins, Mädchen geworden <strong>und</strong> da hab ich gesagt Schluss, ich hab nischt von der<br />
Kirche zu tun <strong>und</strong> mir hilft auch kein Mensch, denn ich hatte ja denn den großen<br />
Jungen .. <strong>und</strong> da musst ich Kirchsteuer bezahlen. Und was verdiente ich damals .. ich<br />
kann’s heut nicht mehr sagen .. ich konnte wir konnten uns kein, nen Fahrrad hab<br />
ich mir gekauft, wo ich immer in der Woche zwei oder drei Mark abbezahlt habe, nur<br />
damit ich nach Erfurt reinkam zur Arbeit. (…) Zu der Zeit war ja kein Straßenbahn<br />
irgendwie <strong>und</strong> kein Bus. Ich hab dann Schicht gearbeitet in Erfurt, da sind wir nachts<br />
manchmal heim gelaufen um zehn, wenn Schluss war, weil die Busse gar nicht kamen.<br />
145 Die dieser Gruppe zuzuordnenden Befragten argumentieren ähnlich deutlich abgrenzend gegen die PDS/Linke.<br />
146 Vgl. zu diesem Punkt u.a. Miller-Kipp 2007; Reese 2007; Möding 1985; Schörken 1990, 2004; Hering &<br />
Schilde 2000; Rosenthal 1986, 1987, 1990; Kock 1994.<br />
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