Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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Bezugspersonen, Gewalterfahrungen sowie Verlust von Heimat, Geborgenheit <strong>und</strong> Sicherheit. Aus<br />
der großen Bandbreite der Geburtsjahrgänge in der Untersuchung folgte, dass die Befragten den<br />
Krieg in sehr unterschiedlichen Entwicklungsabschnitten erleben. Während für die jüngsten Befragten<br />
der Krieg eher eine schemenhafte Erinnerung ist, sind die Älteren schon Mütter mit Verantwortung<br />
für Kinder, die mit der Erfahrung der Verwitwung konfrontiert werden können 149 . Die<br />
Arten der potentiellen Traumata <strong>und</strong> die Modi der Bewältigung sind daher unterschiedlich (vgl.<br />
Radebold 2005, 42f.). Bei den jüngeren Befragten fällt auf, dass diese kaum über ihre Kriegserinnerungen<br />
berichten. Die Befragten der mittleren <strong>und</strong> der älteren Geburtsjahrgänge erinnern sich <strong>und</strong><br />
berichten von den Kriegserlebnissen in narrativen Sequenzen. Diese Berichte erfolgen eher in den<br />
narrativen Phasen am Ende <strong>und</strong> oft auch erst nach dem Interview. Dies ist auf die Schwerpunktsetzung<br />
im Leitfaden zurückzuführen, kann aber auch als ein Indiz für die Bedeutung des Themas bei<br />
den Befragten interpretiert werden. Es ist davon auszugehen, dass auch die thematische Einbettung<br />
hier eine Rolle spielt <strong>und</strong> die biographische Erinnerung lenkt, weshalb die Befragten stärker politische<br />
Themen darstellen.<br />
Dennoch ist bemerkenswert, dass wenig über die direkten Aus- <strong>und</strong> Folgewirkungen des Krieges<br />
berichtet wird. Die Befragten, die zum Beispiel als Nachrichtenhelferin aktiv mit Kriegseinsätzen<br />
oder belastenden Arbeitseinsätzen zu tun hatten, thematisieren ihre Erlebnisse verstärkt. Über die<br />
Erfahrungen der Bombennächte, die für die Befragten aus Kassel prägend gewesen sein müssen,<br />
wird hingegen nicht berichtet. In einigen Fällen wird die lange Kriegsgefangenschaft der Männer<br />
knapp als Fakt erwähnt. Die daraus resultierenden Probleme der Übergänge, der Rollenfindung<br />
oder auch des Alltags wie etwa die schwierige Wohnsituation werden nicht erörtert. Die Mehrheit<br />
vor allem der jüngeren Befragten scheint ein Vermeidungsmuster bei dem Umgang mit emotional<br />
belastenden Erfahrungen der Vergangenheit zu praktizieren. Radebold (2005, 42) sieht darin ein<br />
Muster, welches für die damals Erwachsenen ebenso gilt wie für die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen: „Die<br />
zurückgekehrten Männer fragten nicht danach, was ihre <strong>Frauen</strong> in der Endphase des Krieges erlebt<br />
hatten – sie wollten es wohl auch nicht wissen. Ebenso wollten die <strong>Frauen</strong> offenbar auch nicht wissen,<br />
was ihre Männer im Krieg erlebt <strong>und</strong> insbesondere getan hatten“. Die betroffenen Kinder seien<br />
hingegen in der Regel mit ihren Erfahrungen allein gelassen gewesen <strong>und</strong> würden in großem Umfang<br />
bestimmte Abwehrmechanismen aufweisen, die noch heute wirksam sind 150 .<br />
Aus meiner, in diesen Belangen laienhaften Sicht, bestätigt sich die Einschätzung im Interviewmaterial.<br />
Frau Schneider (KS7) stellt auf die Frage nach Unterschieden in den politischen Ansichten<br />
mit ihrem Mann, der ebenfalls in Kriegsgefangenschaft war, eine Kette von Assoziationen her, die<br />
dem Radeboldschen Schema entsprechen.<br />
149 Die Konstellation von Mutter Frau Schmidt (EF5) <strong>und</strong> Tochter Frau Fischer (EF8) verkörpert diese Spannweite.<br />
150 Radebold (2005, 43) nennt „Spaltung von Wahrnehmung, Gefühl <strong>und</strong> Denken; Verleugnung; Bagatellisierung<br />
<strong>und</strong> Verharmlosung; Ungeschehenmachen; Verkehrung ins Gegenteil bis hin zur völligen Verdrängung“.<br />
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