Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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am gesamtgesellschaftlichen Wandel auf der Makroebene orientieren. Die klassischen gerontologischen<br />
Theorien lassen sich wegen ihrer strukturfunktionalistischen Ausrichtung zwar ebenfalls als<br />
Makrotheorien lesen, der eigentliche Aussagegehalt der jeweiligen Gr<strong>und</strong>thesen ist aus meiner<br />
Sicht aber auf die Mikroebene gerichtet. Neuere soziologische Zugänge, wie Lebenslaufs- <strong>und</strong> insbesondere<br />
die Lebensverlaufsperspektive, versuchen von vornherein auf beiden Erklärungsebenen<br />
zu argumentieren oder verstehen sich klar als an dem Colemann-Schema <strong>und</strong> am methodologischen<br />
Individualismus ausgerichtete Theorien, die soziologisch gesellschaftlichen Wandel deuten<br />
wollen <strong>und</strong> dabei die Mikroebene individuellen Handelns als Ort des eigentlichen Wandels zum<br />
Zentrum der Erklärung machen.<br />
Die hier dargestellten theoretischen Perspektiven auf <strong>Alter</strong>n als Individualphänomen haben jeweils<br />
keinen Alleingültigkeitsanspruch. Sie lassen sich auch nicht als „echte“ Theorien verstehen, sondern<br />
heben vielmehr jeweils relevante Aspekte individuellen <strong>Alter</strong>ns hervor, welche im Kontext theoretischer<br />
<strong>und</strong> empirischer Arbeiten zu <strong>Alter</strong>(n)seffekten auf politische Partizipation berücksichtigt<br />
werden sollten (vgl. Cutler & Hoskin 1977, 268f.). Es handelt sich also, wie deutlich wurde, um einander<br />
ergänzende <strong>und</strong> verbindende Perspektiven.<br />
Eine das Thema <strong>Alter</strong>(n) umfassend berücksichtigende politische Kulturforschung sollte sich all<br />
dieser Aspekte annehmen. Der Rückzug <strong>und</strong> die Annahme sozialer Rollen, wie dies in der Disengagmentsperspektive<br />
hervorgehoben wird, scheinen am ehesten dem Alltagsverständnis von <strong>Alter</strong>(n)<br />
zu entsprechen, wie es auch in der gegenwärtigen Partizipations- <strong>und</strong> Wahlforschung für die<br />
Erklärung von <strong>Alter</strong>seffekten herangezogen wird (Gehring & Wagner 1999, 684; vgl. Lane 1959;<br />
Cutler 1977, 1017; Falter & Gehring 1998). Die Aktivitätsperspektive hebt die Bedeutung von Aktivität<br />
im <strong>Alter</strong>(n) vor <strong>und</strong> vertritt ein Verständnis, welches ebenfalls nicht vernachlässigt werden<br />
sollte, nicht nur in Bezug auf die Suche nach dem Aufrechterhalten von Aktivitäten, sondern auch<br />
im Auffinden möglicherweise zunehmender Aktivität in Lebensbereichen, die bisher von geringerer<br />
Bedeutung waren <strong>und</strong> im Lebenslauf an Bedeutung gewinnen. Dies könnte eben am Ende eines<br />
Berufslebens zu Beginn einer dritten (Kohli 1985) oder vierten (Baltes 1999) Lebensphase oder<br />
durch einen Wandel der Lebensumstände begünstigt werden. In Kombination mit dem Aspekt der<br />
Rollenabnahme, der im Disengagementsansatz hervorgehoben wird, könnte zumindest eine mögliche<br />
Reaktion von Individuen sein, sich neue Rollen in Ehrenamt oder Politik zu suchen (Backes<br />
2000e; Schroeter 2006; vgl. auch Künem<strong>und</strong> 2000b, 2001, 2006a&b). Ebenso ist deutlich geworden,<br />
dass die Frage zu berücksichtigen ist, ob es (Dis-)Kontinuitäten in den Lebensumständen <strong>und</strong><br />
der Selbstwahrnehmung gibt <strong>und</strong> welchen Einfluss diese auf politische Einstellungen <strong>und</strong> politisches<br />
Verhalten haben, wie dies die Kontinuitätsperspektive hervorhebt. Angebracht scheint es<br />
hier einen differenzierenden Zugang zu verschiedenen Formen der Aktivität (vgl. Kolland & Rosenmayer<br />
2007) zu entwickeln <strong>und</strong> im weitesten Sinn politische Tätigkeiten im Wechselverhältnis<br />
mit anderen Aktivitäten zu betrachten.<br />
Die drei klassischen gerontologischen Perspektiven tragen in den empirischen Gr<strong>und</strong>legungen<br />
jeweils dem individuellen Umfeld eines Menschen Rechnung. Welche Rollen, Ressourcen <strong>und</strong> Kontakte<br />
einen Menschen im Verhalten <strong>und</strong> Erleben prägen, sollte auch Teil einer politikwissenschaft-<br />
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