Wahlverhalten älterer Frauen. Alter, Geschlecht und ... - KOBRA
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NW1_1 (426)<br />
FRAU KRÜGER: Na ja ich wusste genau, wie zu Hause gedacht wurde, kriegte aber<br />
immer eingeschärft, das darfst du nirgends sagen. (…) ich wusste aber nun, was die<br />
bei den Jungmädeln hören wollten, da hab ich denen erzählt, was die hören wollten<br />
<strong>und</strong> hab nichts geglaubt von dem was die sagten, hab aber so mitgemacht <strong>und</strong> hab<br />
zu Hause gesagt, das war das was ich glaubte <strong>und</strong> was mir auch einleuchtete. (…)<br />
Zum Beispiel als Deutschland Russland den Krieg erklärt hatte 1943, da hat meine<br />
Mutter gesagt, so der Krieg ist verloren. Das können wir nicht gewinnen <strong>und</strong> da war<br />
sie fürchterlich deprimiert, richtig traurig, alles verloren, alle die jetzt noch fallen,<br />
das ist vergeblich, aber das darfst du keinem sagen. So war das damals. Auch die<br />
Kristallnacht hab ich mitbekommen. Gegenüber war ein jüdisches Geschäft, das (…)<br />
das demoliert wurde. Aber da haben unsere Eltern auch schon Angst gehabt, irgendwas<br />
zu machen. Die haben sich jetzt nicht hingesetzt <strong>und</strong> protestiert oder Briefe<br />
geschrieben, da war das alles schon so weit fortgeschritten, dass die auch Angst hatten.<br />
(…) Und darauf wurde ja auch immer gesagt, du darfst nie woanders sagen, was<br />
du hier hörst.<br />
Bei Frau Hoffmann (KS4), die gegen den Willen ihres Vaters im BDM ist (s.o.), wirkt sich der Nationalsozialismus<br />
nachhaltig auf das Verhältnis zum Vater aus. Hier ist die Mitwisserschaft um die<br />
abweichende Haltung deutlich von einem Machtzuwachs des Kindes geprägt.<br />
KS4_1 (736)<br />
FRAU HOFFMANN: Hab ich gesagt, siehste guck mal. Wir gewinnen den Krieg. Da hat<br />
er gesagt, ich habe vor dir Angst, dass Du mich anzeigst, dass ich den diesen Fremdsender<br />
höre (…) Ich sage, Papa ich würde alles mache, aber so was würd ich doch<br />
nicht machen. Er hatte manchmal bestimmt Angst, weil ich so ein richtiger Nazi war.<br />
Die Angst vor der Denunziation bedeutet auch, dass die Jugendlichen für die Eltern eine potentielle<br />
Bedrohung sind, wie dies im Fall von Frau Hoffmann (KS4; komplettes Zitat siehe Abschnitt 10.3.4.)<br />
deutlich wird 144 . Frau Hoffmann hat heute keine Schwierigkeit sich als „richtigen Nazi“ darzustellen<br />
<strong>und</strong> sich an ihre eigene Rolle zu erinnern. Dieses Muster einer späteren Distanzierung kennzeichnet<br />
eine Reihe von Befragten, unabhängig von der eigenen Nähe zum Nationalsozialismus in der Jugend.<br />
Es besteht langfristig <strong>und</strong> beschäftigt die Befragten erkennbar weiter.<br />
KS1_1 (370)<br />
FRAU MEIER: Ach was wollt ich Ihnen sagen? Ach da gibt es in meinem Bekanntenkreis<br />
tatsächlich noch ... sogar <strong>Frauen</strong>. Die heute noch Nazis sind. (…) Also wirklich<br />
Nazis sind! Nech. Und da ist es auch so, das wenn es auf das Thema kommt oder auf<br />
die Juden (…) dann muss ich sagen, also wenn du jetzt noch ein Wort sagst, dann<br />
steh ich auf <strong>und</strong> gehe (…) Das kann ich nicht begreifen. Wie Leute in meinem <strong>Alter</strong>,<br />
also die den Krieg miterlebt haben, wo Sie ja alle noch gar nicht auf der Welt waren,<br />
also die Flucht <strong>und</strong> Krieg <strong>und</strong> Bomben alles miterlebt haben, dass die noch Nazis<br />
sein können. Das kann ich nicht begreifen. Das gibt’s aber. (…) Das gibt’s aber. Und<br />
gar nicht wenig.<br />
144 Mitscherlich <strong>und</strong> Mitscherlich (1967, 61) beschreiben dieses Phänomen psychoanalytisch: „Bekanntlich<br />
hatten Eltern Angst vor ihren Kindern, die von den Jugendorganisationen aufgefordert wurden, sie auszuhorchen<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls beim Über-Vater oder großen Bruder anzuzeigen. Plötzlich bestand die Möglichkeit,<br />
die ödipalen Wünsche auszuleben.“ (vgl. auch Treu 2003, 200).<br />
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