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»Ich bin die Höhnestraße. Die Häuser sind gräulich (sehr traurig) <strong>und</strong> manche schon schwarz.<br />
Die Hecken sind fort. Das Trottoir ist leer. Die Fenster sind verdunkelt. Ich habe Angst. Das<br />
Radio spielt. Aber es spielt nicht laut genug.«<br />
(Sirenen. Schnitt)<br />
Es ist der Vorzug des <strong>Hörspiel</strong>s, daß es für den Augenblick der Verzauberung seiner<br />
Hörer alles glaubhaft machen kann, was sich in Worte fassen <strong>und</strong> in Beziehung bringen<br />
läßt zu Menschen <strong>und</strong> ihren Schicksalen. Die Höhnestraße hat vieles miterlebt <strong>und</strong> ihr<br />
Bild, das der Krieg verwandelte, hat sich tief in die Erinnerung derer eingeprägt, die in ihr<br />
gewohnt oder gearbeitet haben. So kann ein guter Autor es wagen, ihre Stimme<br />
gleichgewichtig den Stimmen der Menschen, vorab der Hauptfigur seines Spiels, zu<br />
gesellen, mit der wir uns eine Zeitlang identifizieren sollen. Zu dieser Identifikation trägt<br />
auch die Straße bei. Daß sie selber spricht <strong>und</strong> nicht etwa durch einen Erzähler<br />
geschildert wird, daß also ihr Dabeisein <strong>und</strong> ihre Auswirkung aus der Vergangenheit in die<br />
Gegenwart hinübergeholt wird, vertieft <strong>und</strong> verstärkt die Nachvollziehbarkeit der Situation.<br />
Die toten Dinge plaudern munter miteinander, <strong>und</strong> sie können es, wenn deutlich gemacht<br />
wird, wer, oder besser: was jeweils spricht, <strong>und</strong> wenn man dieses Lautgeben aus der<br />
Situation heraus als selbstverständlich empfindet wie et a beim Gespräch zwischen einer<br />
Couch <strong>und</strong> einer Kiste in »Der öst-westliche Diwan« (1954) von Claus HUBALEK oder in<br />
Herbert TJADENS Spiel »Das alte Haus« (1958), wo Teile des Hauses, die Feuerstelle,<br />
Teekanne <strong>und</strong> Schale sprechen, weil sie zum Besitzer des Hauses gehören, <strong>und</strong> zwar in<br />
einem ganz besonderen Sinn, der ihre Verlebendigung aus dem fernöstlichen Milieu <strong>und</strong><br />
aus dem Schicksal des Mannes begreifen läßt.<br />
So wie die Bühne das Spiel im Spiel liebt - im <strong>Hörspiel</strong> kommt es nur vereinzelt vor, so im<br />
»Zöllner Matthaeus« (1962) von Marie Luise KASCHNITZ, wo Schauspieler pathetisch<br />
rezitierend ihren allegorischen Text in feierlichen beschwingten Jamben proben, so baut<br />
der R<strong>und</strong>funk gerne seine eigene Stimme als Funk im Funk in ein <strong>Hörspiel</strong> ein. So hört<br />
man Stimmen aus dem Lautsprecher in Helene SCHMOLLS »Viele Wege führen nach<br />
Korsika« (1948), in Walter OBERERS »Phantastische Fahrt« (1953), in Fred VON<br />
HOERSCHELMANNS »Ich höre Namen« (1954), in »Das Opfer von Treblinka« (1958)<br />
von Helene VON SSANCHO, in Dieter MEICHSNERS »Ein Leben« (1958) <strong>und</strong> im »Strand<br />
der Fremden« (1960) von John REEVES, den der Werbefunk überdröhnt.<br />
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