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Mischformen aus dramatischen, epischen <strong>und</strong> lyrischen Elementen<br />
Das dramatische, das epische <strong>und</strong> das lyrische <strong>Hörspiel</strong> begegnen uns selten in reiner,<br />
unvermischter <strong>Form</strong>. Das Bewußtsein, ein <strong>Hörspiel</strong> zu schreiben, läßt auch die primär<br />
episch oder lyrisch erlebenden Autoren nach Spannungsmomenten suchen, die zum<br />
Wesen des Dramatischen gehören, <strong>und</strong> der Gestalter schnittiger, dramatisch zugespitzter<br />
Dialoge kommt oft ohne epische <strong>und</strong> lyrische Elemente nicht aus. Der geborene Lyriker<br />
aber wird unwillkürlich zum Erzähler <strong>und</strong> oft auch zum heimlichen Dramatiker, wenn er die<br />
ihm eigene Ichhaltung verläßt, um seinem Lebensgefühl <strong>und</strong> Wissen um das Menschlich-<br />
Hintergründige ein gewisses Maß von Bedeutung für die anderen, die Hörer, zu geben.<br />
Neben den vielen Autoren, die unbewußt den natürlichen Spiel»raum« ihres Schaffens<br />
ausweiten, stehen solche, die bewußt <strong>und</strong> mit künstlerischer Absicht aus dem<br />
Gegensätzlichen der Gr<strong>und</strong>formen ein gleichsam konzertantes Nebeneinander machen.<br />
Ihre Spiele lassen sich mit Symphonien vergleichen, deren einzelne Sätze im kunstvollen<br />
Neben- <strong>und</strong> Gegeneinander Gr<strong>und</strong>haltungen der menschlichen Seele in ein<br />
Spannungsverhältnis zueinander setzen. Alfred ANDERSCH arbeitete so in seinem 1958<br />
geschriebenen Spiel »In der Nacht der Giraffe«. Die Rahmenhandlung, breit <strong>und</strong><br />
ausführlich vom Erzähler, der selbst am Geschehen beteiligt ist, im Ichton berichtet,<br />
steigert sich am Schluß des Spiels aus epischer Gelassenheit in beinahe dramatisches<br />
Engagement. Nach ihm melden sich, <strong>und</strong> die Reihenfolge wiederholt sich, der Chronist<br />
<strong>und</strong> der Geheimschreiber, der Chronist mit einer distanzierten, sachlich-nüchternen<br />
Bestandsaufnahme, die aber durch charakteristische Anekdoten über die Giraffe<br />
(Spitzname für de Gaulle) Farbe <strong>und</strong> Leben gewinnt. Der Geheimschreiber ist einer<br />
Sprachmaschine vergleichbar, die eine Fülle von Momentaufnahmen in stichworthafter<br />
Knappheit zum pointillistischen Tableau des Gleichzeitigen aneinanderreiht. Dann folgt<br />
jeweils, wieder auf anderer Ebene <strong>und</strong> aus anderer Perspektive, ein Zwiegespräch, das<br />
subjektive Haltungen zu den Vorgängen in <strong>und</strong> um de Gaulle in der Nacht seiner<br />
Machtergreifung, auch in ihrer Auswirkung auf Schicksal <strong>und</strong> Wechselbezichung der<br />
Gesprächspartner, aufdeckt. Erzähler, Chronist, Geheimschreiber, Diskutierende. Blöcke,<br />
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