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Hörspiel. Form und Funktion.

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Es wird also der Zeitbegriff aufgeweicht <strong>und</strong> im Bedarfsfall sogar eliminiert. Was in der<br />

Zeit geschieht oder geschehen könnte, wird dadurch, daß es aller raumzeitlichen<br />

Geb<strong>und</strong>enheit entrückt wird, zu einem raum- <strong>und</strong> zeitlosen innerseelischen Vorgang, den<br />

die Ausdrucksmittel Raumakustik, Sprache, Musik <strong>und</strong> Geräusche dem Hörer erkennbar<br />

machen. Mehr beim Regisseur als beim Autor liegt die Bewußtmachung der Zeit . als<br />

Antrieb <strong>und</strong> Hemmnis des Spielgeschehens durch Tempowechsel, Temposteigerung <strong>und</strong><br />

-verlangsamung.<br />

Die Loslösung von den Bedingtheiten unseres Seins <strong>und</strong> bisherigen Seinsdenkens hat im<br />

Falle des reinen, absoluten, das heißt entb<strong>und</strong>enen <strong>Hörspiel</strong>s auch die Befreiung von der<br />

dritten der drei Kategorien Kants zur Folge: der Kausalität.<br />

Das realistische <strong>Hörspiel</strong>, das oft vom Bühnenwerk oder vom Film herkommt <strong>und</strong> das bei<br />

einem Jahresbedarf von siebenh<strong>und</strong>ert Spielen im deutschen Sprachraum einen<br />

erheblichen Prozentsatz unseres Spielplans noch immer ausmacht <strong>und</strong> ausmachen muß,<br />

ist an die Kausalität geb<strong>und</strong>en, das reine <strong>Hörspiel</strong>, bei dem der Akzent auf dem<br />

Hörerlebnis liegt, ist akausal wie die Musik. Dieses Spiel hat schon in den zwanziger<br />

Jahren Alfred AUERBACH vorgeschwebt, als er das <strong>Hörspiel</strong> als »Finesse für wenige«<br />

der Massenkost des Films gegenüberstellte <strong>und</strong> den Verzicht auf akustische Spielerei<br />

empfahl zugunsten der Darstellung seelischer Impulse, gedanklicher Kämpfe <strong>und</strong><br />

phantastischer Motive, die uns »das Dunkle, das Rätselhafte« durchleben lassen.<br />

Die drei Einheiten des klassischen französischen Dramas, die der Zeit, des Ortes <strong>und</strong> der<br />

Handlung, können auch im <strong>Hörspiel</strong> gewahrt werden, aber ihre Beobachtung ist niemals<br />

Vorbedingung für ein echtes <strong>Hörspiel</strong>. Ausnahmen sind Spiele wie die »53 Schritte« von<br />

Jan RYS (1961), die ohne Rückblende in einem Krankenzimmer spielen <strong>und</strong> die Reaktion<br />

verschiedener Patienten auf ihre gemeinsame Situation <strong>und</strong> die Auswirkungen ihrer<br />

Leiden schildern.<br />

Die Handlung verliert immer dann ihre, zumindest äußere, Einheit, wenn der Schauplatz<br />

des Geschehens das menschliche Herz ist <strong>und</strong> nicht eine aus Worten <strong>und</strong> Geräuschen zu<br />

erratende Örtlichkeit. Der Verzicht auf äußere »Orientierung« ermöglicht die<br />

mehrschichtige Handlung, das freie Hin- <strong>und</strong> Herschwingen zwischen verschiedenen<br />

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