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Selbstbetrachtung<br />
Ein fünfter Typ von <strong>Hörspiel</strong>autoren ist der monologische. Ihm geht es um<br />
Selbstbetrachtung. Er saugt von der Außenwelt <strong>und</strong> den Begegnungen mit Menschen <strong>und</strong><br />
Menschenschicksalen, mit zeit- <strong>und</strong> umweltbestimmenden Mächten das in sich ein, was<br />
sein Selbstverständnis fördert. Sein Wort <strong>und</strong> Werk ist in dem Maße kommunizierbar, in<br />
dem sein Monolog ein ins Innere seines Geistes <strong>und</strong> seiner Seele verlegtes Gespräch mit<br />
den anderen über das gemeinsame Bedingtsein ist. Die <strong>Form</strong>, deren er sich für den<br />
R<strong>und</strong>funk bedient, braucht nicht der Monolog zu sein, der einem Sprecher in den M<strong>und</strong><br />
gelegt wird. Es gibt stimmenreiche Spiele, die doch nichts anderes sind als sinfonisch<br />
instrumentierte Monologe, die ein Lebensgefühl, eine seelische Gr<strong>und</strong>haltung, eine<br />
Beziehung zur Umwelt ausdrücken. Diese Spiele sind überwiegend Originalhörspiele, ihre<br />
Autoren R<strong>und</strong>funkdichter. Das Dramatische tritt für sie zurück hinter der Kontemplation,<br />
die sich mit voller Freiheit aller r<strong>und</strong>funkeigenen Ausdrucksmittel bedienen <strong>und</strong> von den<br />
<strong>Form</strong>en einer literarischen Gattung zur anderen hinüberwechseln kann, unter wachsender<br />
Bevorzugung lyrisch-musikalischer, epischer <strong>und</strong> bisweilen, um des Kontrasts willen,<br />
sogar berichtmäßiger <strong>Form</strong>en, deren kompositorische Verquickung dem inneren<br />
Erlebnisprozeß des Dichters folgt. Beispiele für diese <strong>Form</strong> sind »Das Jahr Lazertis«<br />
(1955) von Günter EICH <strong>und</strong> »Die Höhle des Philosophen« (1956) von Herbert<br />
ZBIGNIEW. Der innengelenkte monologische Dichter glaubt nicht an klare Lösungen<br />
irgendwelcher Probleme. Er erlebt die Welt als ein Dickicht <strong>und</strong> seine Seele als ein<br />
dichtmaschiges Netz voller Widersprüche <strong>und</strong> Rätsel, über die er in der <strong>Form</strong> des Spiels<br />
meditiert, Geheimnis <strong>und</strong> Unsagbares, oft in parabolischer Ausdeutung, in Worte <strong>und</strong><br />
Klangchiffren projizierend. Durch diese Projektion wird er zum Sprecher all derer, die<br />
gleich ihm vor unlösbaren Rätseln stehen <strong>und</strong> wissen, daß der Verstand nur ein Weg ist,<br />
zum inneren Gleichgewicht zu kommen, weil die Welt im Menschen anfängt <strong>und</strong> der<br />
Mensch aus Bewußtem <strong>und</strong> Unbewußtem lebt, sich selbst ein ewig unergründliches<br />
Geheimnis, voller Abgründe, <strong>und</strong> doch auch fähig, sich emporzuschwingen über alle<br />
Bedingtheit. Gestaltend überwindet er die Daseinsangst, indem er ihr bis in ihre tiefsten<br />
Wurzeln nachspürt. Gestaltend wird er sich seiner Schuld bewußt <strong>und</strong> lernt sie als Teil<br />
einer allgemeinen Schuld begreifen. Wer ihm zu folgen vermag, wird von einer heilsamen<br />
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