Hörspiel. Form und Funktion.

http://www.mediaculture-online.de
der klaren Nacht ist die Glockenmelodie sehr kraftvoll. Beide, Josef und František, sind
beim ersten Glockenton unwillkürlich stehengeblieben. Auch jetzt können sie sich noch
nicht aus dem Bann lösen. Als es František scheinbar gelingt, rast er innerlich.«
Gewiß, wenn der Sprecher des František diese Sätze genau liest, findet er für sein »Na
warte! Warte, Josef!« den richtigen Ton, aber weder die Raumorientierung nach dem
Glockenklang, noch das unwillkürliche Stehenbleiben lassen sich eindeutig wiedergeben.
Heinrich BÖLL macht es 1955 in seinem Spiel »Zum Tee bei Dr. Borsig« wie Hendrich,
wenn er vorschreibt:
»Etwa vom fünften Stock eines Hauses aus sind durchs offene Fenster die Geräusche
eines Bahnhofs zu hören, der dem Haus gegenüberliegt. Durch den Straßenlärm
hindurch, der gedämpft hinaufklingt, hört man hin und wieder die Stimme eines Ansagers
im Bahnhof als monotones Gemurmel. Robert spricht aus dem Hintergrund des Zimmers,
wo er auf dem Bett liegt ... «
Auch hier läßt sich die Topographie, die doch offenbar für Böll eine gewisse Bedeutung
hat, nicht zweifelsfrei akustisch vermitteln.
»Alle, die da fallen« (1957) von Samuel BECKETT enthält einen akustischen Engpaß:
Tommy: (aufgeregt, in der Ferne) Er kommt. (Pause. Näher) Er ist schon am Bahnübergang!
(Sofort laute Bahnhofsgeräusche. Klingeln. Fallende Signale, Pfiff e, Geräusch des
durchbrausenden Zuges)
Mrs. Rooney: (Das Getöse des Zuges übertönend) Der D-Zug! Der D-Zug! (Der D-Zug
verschwindet in der Ferne, der Personenzug aus der anderen Richtung kommt näher, läuft in
den Bahnhof ein, hält, lautes Dampfgezisch und Aneinanderschlagen der Puffer. Reisende
steigen aus, Türen werden zugeschlagen, Mr. Barrell ruft: Boghill! Boghill! usw., aus vollem
Hals) Dan! ... Ist alles in Ordnung? ... Wo ist er nur? Haben Sie nicht meinen Mann gesehen? ...
Dan! ... (Der Bahnsteig leert sich. Der Schaffner pfeift. Der Zug fährt ab, verschwindet in der
Ferne. Stille.)
Er ist nicht drin!
Für das Verständnis dieser Handlung ist wahrscheinlich äußerste Transparenz des
Akustischen gar nicht nötig, aber es bleibt wohl auch bei sorgfältigster Einstudierung für
den Hörer doch einiges von den äußeren Vorgängen in Raum und Zeit unklar.
196