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der erzählten Musik Thomas Manns, der im »Doktor Faustus« Beethovens Klaviersonate,<br />
Opus 111, nacherzählt.<br />
Das Feature weist bereits so ziemlich alle Merkmale der Gattung auf. Der Sprecher<br />
eröffnet die Sendung mit den Worten: »Rom ist älter <strong>und</strong> Shanghai bunter. New York ist<br />
reicher <strong>und</strong> reckt seine Häuser näher an die Wolken. Paris lockt die Welt mehr <strong>und</strong><br />
Moskaus Antlitz ist strenger. Aber größer ist keine Stadt dieser Erde als London. (Hier<br />
wird die unterlegte sinfonische Musik ausgeblendet.) Größer an Raum <strong>und</strong> an Ruhm <strong>und</strong><br />
an Ruhe.<br />
Ansager: Hier - ist - London. (Musik) Anatomie einer Weltstadt. Beschrieben von Peter von<br />
Zahn. (Musik steigert sich zum Furioso <strong>und</strong> bricht plötzlich ab.)<br />
Erzähler: Niemand weiß, wie groß London ist. Niemand weiß, wo diese Stadt beginnt <strong>und</strong> wo<br />
sie endet ...<br />
(Es folgen Einzelheiten über das Gesicht der Stadt <strong>und</strong> die Gesichter der Menschen, die am Beobachter<br />
vorbeiströmen »treibende Algen, Tang <strong>und</strong> wimmelnde Fische in Ebbe <strong>und</strong> Flut des Verkehrs, in Brandung<br />
<strong>und</strong> Wirbel der Plätze, im Sog der Bahnhöfe <strong>und</strong> Kinos «.)<br />
Sprecher, Ansager <strong>und</strong> Erzähler teilen sich in statistische Angaben. Dann stellt der<br />
Erzähler sich als, einzelner Fremder in das Getümmel. Er kennt nicht die Gewohnheiten,<br />
Ansichten, Vorlieben <strong>und</strong> Neigungen der Menschen, die nicht wissen, daß er ihnen<br />
nachspürt, im Bemühen, der Anatomie der Weltstadt auf den Gr<strong>und</strong> zu kommen, »der<br />
großen, alten Hydra mit den vielen Herzen <strong>und</strong> Lungen, Mündern <strong>und</strong> Hirnen. Wo ist das<br />
Herz des Heringsschwarms? Das Herz im Ameisenhaufen, im Korallenriff? Niemand weiß<br />
es. «<br />
Worauf er sich, von den Stichwortbringern sek<strong>und</strong>iert, in topographische Einzelheiten<br />
verliert, die aber bald die düstere Farbe der Kriegsfolgen annehmen, indem ein<br />
Augenzeuge, Pepys, von einem schweren Luftangriff im Dezember 1940 berichtet, nicht<br />
persönlich allerdings, wie man es heute nach Möglichkeit geschehen läßt, sondern in<br />
<strong>Form</strong> einer Lesung aus seinem Tagebuch, die der Sprecher ergänzt. Der Erzähler schiebt<br />
den Kaufmann von London vor den Historiker, worauf ein lebhaftes Ineinander von<br />
Stimmen dem Hörer deutlich macht, wie der R<strong>und</strong>funk eine ihm gemäße Entsprechung für<br />
die meist problematische <strong>Form</strong> des Sprechchors schaffen kann:<br />
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