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selbst erfahren, aber oft ist er noch gar nicht hörbereit, wenn ihn ein kurzer Vorspann mit<br />
diesen Daten bekanntmacht. Außerdem darf ihm der R<strong>und</strong>funk nicht durch Mitteilung des<br />
Ausgangs der »story« die Erwartung <strong>und</strong> damit die Spannung nehmen, der<br />
Zeitungskritiker aber greift ja auf ein bereits oft mehrere Tage zurückliegendes<br />
Hörerlebnis zurück <strong>und</strong> übernimmt damit unter anderem die Aufgabe, dem Hörer Ordnung<br />
in sein meist recht lückenhaftes <strong>und</strong> damit zusammenhangloses Erinnerungsbild zu<br />
bringen. Außerdem erfährt er aber einiges, das seiner Aufmerksamkeit entgangen ist,<br />
denn der Kritiker stützt sich ja nicht nur auf sein Hörerlebnis, ihm stehen auch<br />
Pressedienste der R<strong>und</strong>funkanstalten, Korrespondenzen <strong>und</strong> oft auch die Texte der<br />
Spiele zur Verfügung. Die kurzgefaßte, aber gewissenhafte Information durch den Kritiker<br />
ist deshalb sehr wichtig, weil es, wie wir sahen, beim R<strong>und</strong>funk keine Entsprechung zum<br />
Theaterpublikum gibt. Es fehlen - auch bei den Hörwilligen - so gut wie alle<br />
Voraussetzungen, mit denen der Theaterkritiker wenigstens bei einem Teil seiner Leser<br />
auch heute noch rechnen kann.<br />
Nie darf der R<strong>und</strong>funkkritiker die Flüchtigkeit des reinen Hörerlebnisses vergessen. Ein<br />
Buch ist etwas Bleibendes, auch die Zeitschrift <strong>und</strong> bis zu einem gewissen Grade sogar<br />
die Zeitung. Man kann das Gelesene sich wieder <strong>und</strong> wieder vergegenwärtigen. Beim<br />
Theater bleibt die Szenerie, der in ihr körperlich anwesende, in ein sichtbares<br />
Handlungsgeschehen eine Zeitlang einbezogene Schauspieler. Beim R<strong>und</strong>funk erlischt<br />
alles mit dem flüchtigen Wort als dem einzigen Handlungsträger. Ferner folgt jedes<br />
<strong>Hörspiel</strong> seinem eigenen Gesetz, das der Kritiker erkennen <strong>und</strong> erkennbar machen muß.<br />
Es lebt aber auch aus einer mehr oder minder zeit- <strong>und</strong> umweltbedingten Schau der<br />
Geschehnisse, Situationen, Probleme <strong>und</strong> Charaktere. Auch sie muß dem Hörer<br />
erschlossen werden. Kritik ist ja doch nicht Beckmesserei, die Fehler ankreidet,<br />
Abweichungen von einer Norm, die es heute für keine Kunstgattung mehr gibt. Ihre<br />
Hauptaufgabe ist die Sichtbarmachung geistiger Prozesse in gemeinverständlicher <strong>Form</strong>,<br />
die ein Mitdenken, Mitvollziehen ermöglicht. Zum geistigen Prozeß, den der Autor in<br />
seinem Spiel objektiviert hat, kommt der geistige Prozeß, den er beim Kritiker ausgelöst<br />
hat, der die Hörer seinerseits an einem Konzentrat beider ineinander verschmolzener<br />
Prozesse beteiligt. Das subjektive Moment ist aus keiner Kritik, es ist nicht einmal aus<br />
einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung ganz wegzudenken, die im Gegensatz zur<br />
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