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Es gibt Hörer, die überhaupt nicht in Räumen denken, vor allem nicht in solchen, die wie<br />
eine Bühnenszenerie vor ihrem inneren Auge verweilen, eine Szenerie, in der die<br />
Gestalten des Spiels sich bewegen. Sie realisieren Bewegungsvorgänge, sehen aber<br />
keine vollständigen Personen vor sich, sondern nur einzelne Gesten, Gesichtsausdrücke,<br />
einen Augenaufschlag, zusammengepreßte Lippen, eine jähe Kopfbewegung. Selten<br />
bleibt ihnen, wenn A längere Zeit spricht, sein Partner B innerbildlich gegenwärtig.<br />
Überhaupt fehlt es bisweilen an der erkennbaren Zuordnung zueinander. Stehen sie dicht<br />
voreinander, sitzt der eine, sitzen sie beide, bewegen sie sich zu- oder auseinander, wie<br />
sind sie gekleidet, spielen Gegenstände eine Rolle, die sie in der Hand halten, berühren,<br />
einander geben oder betrachten? Sehen sie einen Menschen, ein bewegliches Etwas<br />
auftauchen oder verschwinden? Ist es hell oder dunkel um sie? Spielen Farben eine Rolle<br />
<strong>und</strong> wodurch werden Farbempfindungen beim Hörer erzeugt? Spürt man Enge oder<br />
Weite?<br />
Das <strong>Hörspiel</strong> als Zeitkunstwerk, das sich dem Hörer im Nacheinander erschließt, in einem<br />
Fortgang mittels akustischer Zeichen, es widerstrebt dem Willen, zu verweilen, der ein<br />
Wo, einen Ort braucht. Wer als Hörer zum Verweilen neigt, wer also ein statischer <strong>und</strong><br />
kein dynamischer Typ ist, wird oft zu kurz kommen, es sei denn, daß das Bleibende kein<br />
als physisch zu denkender, sondern ein seelischer Raum ist.<br />
Die Räume, die dem Autor vorschweben, entstehen <strong>und</strong> verflüchtigen sich mit dem<br />
textgeb<strong>und</strong>enen Wandel der inneren <strong>und</strong> äußeren Situation. Es gibt erfahrene<br />
Funkschriftsteller, die gelernt haben, von der äußeren Situation soweit zu abstrahieren<br />
wie ein Maler, der die Welt des Gegenständlichen in ein Minimum isolierter <strong>und</strong> frei, aber<br />
nach einem inneren Gesetz zusammengefügter Zeichen auflöst <strong>und</strong> so mit den<br />
Elementen des Sichtbar-Wirklichen spielt.<br />
Des Autors Raumvisionen erfahren ihre erste Abwandlung in der Phantasie des<br />
Dramaturgen, die zweite im Schaffensprozeß des Spielleiters, die dritte in der<br />
Nachgestaltung durch die verschiedenen Sprecher. Von diesen hat jeder sein eigenes<br />
Verhältnis zum Optischen als unbewußter <strong>und</strong> ungesteuerter Ergänzung der Wortfolgen,<br />
die seine Stimme aus der Stummheit der Aufzeichnung zur Erlebnisquelle für sich <strong>und</strong><br />
andere macht. Dabei kommt dem Raum, in dem er spricht, eine doppelte Aufgabe zu:<br />
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