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Zu Ernst Jünger - gesamtausgabe

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254 TL Teil: Aussprache über <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong>IV, <strong>Zu</strong> <strong>Ernst</strong> <strong>Jünger</strong> 19]9/40255Denkens, sondern erfahren ist die geschichtliche Nähe jenes Anfangsin der jetzt vollendeten Metaphysik.Aber das heutige Denken, das nur noch ein rechnendes Meinenund ein Spiel mit »Chiffren«! ist, vermag nicht mehr oder nochnicht in den Vollzug einer Auseinandersetzung mit Nietzsche sichzu finden. Die wahl- und endlose Mißdeutung Nietzsches ist nurdie Folge dieses Unvermögens.Die willkürliche Ausbeutung seines Werkes zu wechselndenZwecken erweckt aber den Schein, als sei jene Mißdeutung dieechte geschichtliche »Wirkung« Nietzsches in der Gegenwart.Diese »Wirkung« Nietzsches, und was man dafür hält, trifft nirgendwomehr auf Grenzen und Bedenken, sonst könnte Nietzschenicht gleichzeitig als Stützung gegenchristlicher Weltanschauungen,als Verteidigung des Christentums in der zeitgemäßen <strong>Zu</strong>rechtmachungder Kirchenlehren, als Auffrischung einer ödenFreidenkerei, als Fundgrube für »psychologisch«-»biologische«Lehren gelten. Dies alles gleitet darüber hinweg, daß in NietzschesDenken die Metaphysik den geschichtlichen Augenblick erreichte,in dem das Seiende als Wirkliches im Sinne des Willenszur Macht offenbar wurde. Zwar kennt man freilich diese »Lehre«Nietzsches vom Willen zur Macht und verschafft ihr grobeund platte »Anwendungen« im sogenannten »Leben«; aber manübernimmt eine »Lehre« und anerkennt darin einen »Standpunkt«eines Menschen, der eben, weil er krank und schwach war,die Gesundheit und die Gewalt als höchste Werte zu predigenversuchte. »Rasseforscher« spielen sich als Verehrer des Lehrers 2vom Willen zur Macht auf, ohne sich daran zu kehren, daß Nietzsehegerade in den Jahren seiner Arbeit am »Willen zur Macht«1886/7 in sein Notizbuch geschrieben: »Maxime: Mit keinemMenschen umgehn, der an dem verlognen Rassen-Schwindel Antheilhat.« »Wieviel Verlogenheit und Sumpf gehört dazu, umKarl Jaspers: Philosophie. 3 ßde. ßerlin 1932. Das >,Wesen der Chiffren«wird im dritten ßand »Metaphysik« erläutert.2 r=_:J _____ schreibt zunächst »Philosophen«, streicht dies durch und komdaherwiederIm heutigen Mischmasch-Europa Rassenfragen aufzuwerfen!«(XIII, 356)Nietzsches angeblich »große« Wirkung ist diese Stickluft einesausgesprochenen oder versteckten oder unbemerkten »Nietzscheanismus«.Diese »Wirkung« wird noch einige Zeit die wissendeAneignung seiner Grunderfahrung verzögern. Und wer möchteleugnen, daß Manches in Nietzsches Art, sich zu äußern, diese»Wirkung« begünstigen mußte. Trotzdem bleibt das Eine die Not:das Wirkliche in der Wahrheit des geschichtlichen Augenblickszu erfahren. Das bedeutet aber, Nietzsches metaphysische Grundnichtals Lehrmeinung zu kennen, sondern das Wirkwiees sich aus dieser Grundstellung und für sie eröffnet, zusehen, um es zu bedenken. Je mehr die von Nietzsche selbst mitgebrachtenund zu seiner Zeit unvermeidlichen Übermalungenseines Wesentlichen verschwinden, um so klarer wird der eigentlicheGesichtskreis der Grundstellung Nietzsches.<strong>Ernst</strong> einzige geschichtliche Bedeutung erfüllt sichdarin, dieses Wirkliche frei von den Nachbildern der Romantik,aber auch herausgehoben aus der zu flachen und niedrigen Ebenedes Positivismus sichtbar zu machen. Dieses Zeigen schreibt dasWirkliche nicht ab für eine unverbindliche Vorführung, sonderndie Beschreibung schreibt uns selbst ein in die <strong>Zu</strong>gehörigkeit zudiesem Wirklichen. Nietzsche mußte, um den Willen zur Machtals die Wirklichkeit des Wirklichen zu ersehen, und so das Wirklichein diesem Gesichtskreis ins Offene zu bringen, ein Fragendersein.<strong>Jünger</strong>, der sich sogleich in diesem offenen Bezirk bewegt,kann ein Beschreiber bleiben, der sich der Antwort jenes Fragersunterstellt. Was aber nur durch ein Erfragen gegründet werdenkonnte, läßt sich auch allein durch ein Fragen überwinden, wenndafür die Notwendigkeit sich erhebt. Ja, um auch nur über dasbeschriebene Wirkliche »hinaus« die WIrklichkeit zu erfahren,müssen wir fragen, fragen können und fragen wollen. Allein dasZeitalter der »dezidierten« Gedanken-Iosigkeit muß zufolge derBegriffsangst, von der es gejagt ist, jedes Fragen jener Art als eine

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