Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Arnold verlieh der jeweils obersten Schulklasse große Verantwortung und
Vollmachten und vertraute dabei weitgehend auf ihre Moral. Die Abschlußklässler
befehligten und herrschten ähnlich wie Armeeoffiziere über die anderen
Klassen, halfen so dem Direktor bei der Regierung der Schule und übten
sich selbst in der Kunst des Befehlens.
Auch wenn einzelne Schüler hier große Verantwortung tragen, hat dies System
mit demokratischer Selbstregierung kaum etwas zu tun. Arnolds freundlich-feste,
autokratisch-hierarchische und christliche Moral- und Charakterformung
wurde 80 Jahre später ein großes Vorbild für F. W. Foersters Gehorsams-
und Charaktererziehung.
Aus den von Arnold reformierten Public Schools spaltete sich später die
Bewegung der New Schools ab, deren deutscher Zweig als Landerziehungsheime
bezeichnet wurde. Auf die Selbstverwaltung dort kann hier aus Gründen
des Umfangs nicht eingegangen werden 172 . Wirklich interessant erscheint
allerdings nur der linke Flügel dieser Bewegung, in Deutschland Paul
Geheeb und Gustav Wyneken und ihre Odenwaldschule und die Freien
Schulgemeinden.
Der kurze Überblick über die ersten drei Jahrhunderte mit Jugendrepubliken
zeigt, daß die meisten Formen bereits früh entwickelt waren. Es handelte
sich aber durchgängig um autoritäre, diktatorische Republiken, bei denen die
Rechtsetzung und Entscheidungsbefugnis fast völlig beim Diktator lag.
9.2. Radikal-demokratische staatsbürgerliche
Erziehung in den Erziehungsrepubliken nach der
Französischen Revolution
Etwa zur Zeit der Französischen Revolution, als die Erwachsenen die Republik
forderten und vorübergehend auch durchsetzten, änderten sich die Begründungen
für selbstverwaltete Jugendrepubliken: nun standen nicht nur Personalmangel,
Arbeitserleichterungen und bessere Beaufsichtigung im Vordergrund,
sondern grundsätzliche politische Argumente wie Menschenrechte,
Freiheit, radikale Demokratie und staatsbürgerliche Erziehung zu guten Demokraten
und Republikanern.
172 Die Landerziehungsheime und New Schools sind recht stark moralpädagogisch orientiert.
Einige Literatur zu Deutschland: Andreesen (1926); Becker (1979); Dietrich (1967);
Lietz (1897); Odenwaldschule (o. J.); Reisiger (1930), (1931); Schäfer u. a. (1971).
Zu den englischen Schulen siehe Skidelsky (1975).
196