Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Seit die Juden allgemein als Nation angesehen wurden, wurde ein nur allgemeines
Bekenntnis zur Jüdischen Nation zunehmend nichtssagend, und die
Trennungen innerhalb des Judentums wurden bedeutungsvoller. Der Klassen-
Gegensatz und -Kampf auch im gesamtjüdischen Zukunftsstaat wurde zunehmend
deutlich: Bei den zunehmend offenen Forderungen und abnehmender
Dankbarkeit für das Almosen waren die Wohlhabenden immer weniger zu
Spenden geneigt - gerade in der Nachkriegs-Elendszeit.
Bernfeld wollte gegen den Willen und die Interessen der Finanziers eine
selbstregierte, sozialistisch orientierte Erziehungseinrichtung schaffen und
ihre Finanzierung auf dem Umweg über die schiere Größe der Einrichtung
durch Besteuerung erzwingen. Der grundlegende Richtungsgegensatz bestimmte
die nachfolgenden Ereignisse - und das baldige Scheitern.
19.2. Geschichte des Kinderheims Baumgarten
Nachdem die schon recht weit gediehenen Vorbereitungen, ein Gut für die
Schulsiedlung zu kaufen, zum dritten Mal an mangelnder Entschlossenheit
gescheitert waren, nahm Bernfeld Ende 1919 das Angebot an, innerhalb
Wiens und ohne Landwirtschaft in fünf bereits angekauften Baracken des
ehemaligen Kriegsspitals in Baumgarten (Wien XIII, Linzerstraße 299) eine
jüdische Schulsiedlung für 200 - 300 Kinder zu gründen. Er sah dies Kinderheim
als Vorstufe, in der bereits die Kader der späteren größeren Schulsiedlungs-Einrichtung
gebildet werden würden.
Sofort im August 1919 entwarf die Pädagogengruppe einen Grundriß des
zukünftigen jüdischen sozialistischen Kinderheims für:
60 Kindergartenkinder in einem Kleinkinderheim
60 Jungen und
60 Mädchen zwischen 6 und 14 Jahren in einer achtklassigen Schule
25 Jungen und
25 Mädchen über 14 Jahren als Lehrlinge in Haus- und Gartenwirtschaft
sowie den Lehrwerkstätten und höheren Schulkursen.
Der bürgerlich orientierte Geldgeber und die (mit vielfältigen dramatischen
Beispielen) als völlig unfähig geschilderte Leiterin orientierten sich eher an
traditioneller Wohltätigkeit und autoritativer Erziehung und blieben ohne
Verständnis für Bernfelds Projekt einer sozialistischen freien Schulsiedlung.
Trotzdem garantierten sie Bernfeld völlige pädagogische, organisatorische
und wirtschaftliche Unabhängigkeit, einschließlich Auswahl, Einstellung
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