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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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echtlosen Opfer unserer Eriehungskünste sein dürften, daß sie selbstverständlich ihre<br />

Angelegenheiten selbst würden ordnen müssen. Aber ebenso klar war uns, daß es<br />

sinnlos und unrichtig wäre, irgendeine fertige Verfassung zu dekretieren.“ (Bernfeld<br />

1974a: 135)<br />

In <strong>der</strong> zweiten Oktoberhälfte 1919 trafen die 250 Kin<strong>der</strong> <strong>aus</strong> drei an<strong>der</strong>en<br />

Wiener Heimen (die zum Teil geschlossen wurden) ein, meist mit Ekzemen,<br />

verl<strong>aus</strong>t und oft extrem körperlich verwahrlost.<br />

Bisher durch Belohnung und harte Strafen zu Gehorsam, Bravsein, Schmeichelei,<br />

Lügen und demütiger Unterwerfung gegenüber Erwachsenen erzogen,<br />

belogen und bestahlen, prügelten und quälten sie oft sinnlos brutal und streitsüchtig<br />

ihre Kameraden, waren an<strong>der</strong>erseits (zum Teil krankhaft) apathisch<br />

und untätig.<br />

„Vor allem aber waren die Kin<strong>der</strong> zutiefst mißtrauisch; sie glaubten Worten gar nicht,<br />

sie glaubten sich von allen Erwachsenen bestohlen, belogen, gequält, zurückgesetzt.<br />

Sie logen und stahlen skrupellos“, und benahmen sich gleichzeitig demütigunterwürfig.<br />

(Bernfeld 1974a: 117)<br />

Die Kin<strong>der</strong> „waren alle ohne Eltern, im psychologischen Sinn, sie hatten keine o<strong>der</strong><br />

nur sehr schwache und vorübergehende Fixierung ihrer infantilen Libido an ihre Eltern,<br />

die Urbil<strong>der</strong> aller späteren Liebesobjekte, vorgenommen.“ (Bernfeld 1974a: 161<br />

)<br />

„Die Erziehbarkeit reicht gerade soweit, als die Übertragung reicht, also so weit als<br />

die Außenwelt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Erzieher libidinös besetzt wird.“ (Bernfeld 1974a:<br />

162)<br />

Die Kin<strong>der</strong> waren laut, streitsüchtig und zerstörerisch. In <strong>der</strong> ersten Zeit<br />

herrschte große Unordnung (Umzug, Baumaßnahmen...) die Erzieher schritten<br />

gegen Schreien, Rennen und Vordrängeln <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bewußt nicht ein.<br />

Denn dann hätten sie ihre Wünsche den Kin<strong>der</strong>n gegenüber auch durchsetzen<br />

und als Autorität auftreten müssen. Stattdessen wirkten sie bewußt und mit<br />

einigem Erfolg nur als ruhiges und freundliches Vorbild. Die Kin<strong>der</strong> litten<br />

deutlich unter <strong>der</strong> allgemeinen Unordnung und waren durch<strong>aus</strong> bereit (aber<br />

noch kaum fähig), selbst Ordnung zu schaffen.<br />

„Manches war dabei bis zuletzt nicht so gewesen, wie dieser o<strong>der</strong> jener es gern gewollt<br />

hätte; es wäre uns ein Leichtes gewesen, auch dies nach unserem Willen und unserem<br />

Niveau durchzusetzen; wir taten es aber nicht, weil uns Formen nur dann einen<br />

Sinn haben, wenn sie Ausdruck <strong>der</strong> Affekte o<strong>der</strong> Gesinnung sind, und die fortschreitende<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Tischordnung Symptome <strong>der</strong> fortschreitenden Verfeinerung<br />

des sozialen Bewußtseins waren, die zwar weit, aber nicht bis ans Ende gediehen waren,<br />

als wir Baumgarten verlassen mußten.“ (Bernfeld 1974a: 122)<br />

Die Erzieher straften und verboten nicht einmal, daß die Kin<strong>der</strong> auf Tische,<br />

Bänke und Türen schrieben, so daß die Kin<strong>der</strong> es nicht verheimlichen<br />

mußten, und boten lediglich ersatzweise Papier dafür an.<br />

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