Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

gung gegen ihre Erwachsenen, denn die sympathisierten mit der Selbstregierung,
machten dies Leben erst möglich, sie lehrten die Kinder, und man könne
sie um Rat fragen.
Die Kinder betonten, daß sie keine unzumutbare Arbeit 615 kennen.
Schwierige Arbeit übertragen zu bekommen betrachteten sie als Ehre, und
Entzug einer Tätigkeit (weil man sie zu schlecht macht oder man das Vertrauen
der Kameraden verloren hat) als die schlimmste Strafe.
22.6. Deutschland
Als Kinderrepublik in Deutschland ist zunächst der Lindenhof in Berlin-
Lichterfelde zu nennen, der unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg von Karl
Wilker geleitet wurde. Wilker bezeichnet die englischen und amerikanischen
Kinderrepubliken (also George und Lane) ganz ausdrücklich als die Vorbilder
seiner Arbeit im Lindenhof 616 . In der kurzen Zeit bis zu Wilkers Entlassung
nahm der Lindenhof (noch) nicht die Form einer Republik an, doch er gilt als
der radikalste Heimreformversuch in Deutschland.
Zu nennen sind auch die (nach Vorläufern in Österreich) in Deutschland
seit 1927 veranstalteten Ferienzeltlager-Kinderrepubliken der sozialdemokratischen
Kinder- und Jugendorganisationen, die von den Falken bis in die Gegenwart
hinein fortgeführt werden. Dies ist zweifellos die weltweit größte
Kinderrepublikbewegung überhaupt, jedoch waren diese Ferienzeltlager keine
Heime.
Auf beide kann hier aus Gründen des Umfangs nicht eingegangen werden.
615 Die Bezeichnung unzumutbare Arbeit (disagreeable work) bezieht sich wohl auf die Bemerkung,
daß in Santa Marinella die Kinder selbst die Löhne festlegen und die schmutzigsten
und unzumutbarsten Arbeiten (most disagreeable work) die bestbezahlten sind
(Rotten 1954: 6).
616 „Ich hatte - bei einem unserer ersten Elternnachmittage 1917 - mal erzählt von Kinderrepubliken
in Amerika und England, von Kindergerichtshöfen bei uns, etwa in Berthold
Ottos Hauslehrerschule. Und gesagt: vielleicht kommen wir auch noch mal so weit. Und
wir kamen so weit.“ (Wilker 1921b: 51)
Wilker hatte sich offenbar mit Kinderrepubliken befasst und auch einen der nur 3
deutschsprachigen Aufsätze über die Junior Republics verfasst. Als Beispiele für die
Ablösung der Massenanstalt durch kleine Heim-Kolonien verweist er auf 4 in diesem
Buch beschriebene Kinderrepubliken (George Junior Republic, Bernfelds Kinderheim
Baumgarten, die Arbeit Lehmanns in Litauen, Berlin und Ben Shemen sowie „vor allem
auf Homer Lane's gleichfalls (aus persönlichen Motiven) mißglücktes Little Commonwealth“.
(Wilker 1929: 45). Außerdem erwähnt er aufsehenerregende Experimente
(vermutlich im Erziehungsheim Sieversdorf in der Mark Brandenburg) des jetzt drüben
(USA?) tätigen Schweizers Friedrich Ambühl, über die ich nichts finden konnte.
585