Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Die Korolenko-Kolonie und die Arbeitskommune in Bolschewo zeigen, daß
Makarenko offenbar durchaus Vorbilder für seine Pädagogik hatte, diese aber
verleugnete. Vermutlich 503 kannte Makarenko aus Polen auch die Arbeit von
Hermann Lietz und Gustav Wyneken, bevor er die Gorki-Kolonie gründete,
und auch für das Pädagogische Poem gibt es literarische Vorbilder 504 . Makarenkos
Beteuerungen, im Alleingang ohne jegliche Vorbilder eine völlig
neue Pädagogik erfunden zu haben, erscheinen auf diesem Hintergrund kaum
mehr glaubhaft.
Die am 1. Mai 1922 in Kiew gegründete Kinderstadt Lenin oder Leninsk hatte Anfang
1924 ca. 800 Kinder und sollte auf 1400 anwachsen. Kinder sollten - wohl auch im Sinne
der Subsistenzproduktion - alle Tätigkeiten ausüben, u. a. auch eine eigene Zeitung machen,
jedoch war Leninsk durch die Behörden extrem gut (amerikanisiert) ausgestattet
und besaß eine mehrsprachige Arbeitsschule nach dem Daltonschen Laboratoriumsplan
für die Kinder aus mehreren Nationalitäten (Manjos 1924).
Die angeblich erste Kinderkommune der Ukraine war die nach G. Petrowsky
(Vorsitzender des Allukrainischen Zentralvollzugsausschusses) benannte Kommune in
der Puschkinstraße 49 in Charkow. Dieses als kleine Räte-Republik organisierte, durch
Kinder-Vollversammlungen und monatlich gewählte Kinder-Kommissionen regierte
Heim wurde vom jungen Dichter Gregor Kolljada geleitet (Die erste Kinderkommune in
der Ukraine, 1924: 10 - 11).
Der ukrainische Erziehungswissenschaftler Vascenko lobte 1926 und 1928 (in Hillig
1979) sehr das im Dorf Bilyky (Gouvernement Poltawa) gelegene Kinderheim für 80
Kinder und seine Leiterin Charitina Danilivna Savcenko, eine sehr engagierte, offenherzige,
liebevolle und mütterliche Frau. Dabei erwähnte er besonders die gute Kinderselbstverwaltung
auf der Grundlage der Selbstbedienung. Das Heim sei von Liebe und Vertrauen
beherrscht gewesen, ohne Strafen und ohne strenge Disziplin, mit ähnlich guten
Erziehungsresultaten wie Gorki-Kolonie.
Mikitenkos (weiter unten erwähnter) Roman Der Morgen beruht auf der Arbeit der
Kommune für ehemalige verwahrloste Kinder in der Stadt Priluki (Nezinskij 1969:
69 f.).
503 „Makarenko from Poland had known the work of Lietz and his collaborator Wyneken,
before starting in the new Soviet Union, the Gorky Colony, whose survival depended directly
upon the labour of its members.“ (Weaver 1964: 148) Dabei stützt sich Weaver
vermutlich auf das in Bibliotheken der (Alt-) BRD nicht vorhandene Buch von W. L.
Goodman: Anton Simeonovich Makarenko, Soviet Teacher (London: Routledge & Keagan
Paul 1949). Ganz Ähnliches wurde auch referiert von M. Bybluk (Torun, Polen) auf
dem internationalen Makarenko-Symposion im April / Mai 1989 bei Marburg (Hillig
1989b: 183).
504 Zwei in Rußland erschienene Romane des Schriftstellers Ivan Kondrat'evic Mikitenko
(*1897; 1937 liquidiert) waren Vorläufer des Pädagogischen Poems von A. S. Makarenko:
Die Vagabunden erschien 1927. Mikitenkos 1933 erschienenes Hauptwerk Der
Morgen „ist in der Hauptsache nach Materialien aus der Arbeit der Kommune für ehemalige
verwahrloste Kinder in der Stadt Priluki geschrieben“ und wird von Makarenko
kritisiert in Bd. VII M.[oskau?] 1958, S. 203, E. B. 1962, S. 125 (Nezinskij 1969: 69 f.).
In Priluki wurde das gepflegt, wogegen A. S. Makarenko sich wandte. 1934 wurde die
Kommune in der Dzierzynski-Kommune empfangen. Mikitenko besuchte zweimal die
Dzierzynski-Kommune: am 28.1.1932 und während der Arbeit am Morgen im Juli 1934
[Nach der Veröffentlichung?] (vgl. Nezinskij 1969: 70).
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