Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

19.3. Pädagogik und Selbstregierung in Baumgarten
19.3.1. Pädagogische Grundsätze
Bernfeld argumentiert radikal gegen die alte Erziehung und formuliert Grundsätze
einer neuen, die auf Gleichberechtigung, Kameradschaft, Rechtlichkeit,
Ehrlichkeit Vertrauenswürdigkeit und dem Beispiel der Erwachsenen basiert:
„Muß nicht irgendwie dieser unheimliche Bann gebrochen werden? Und wie anders,
als durch eine Revolte der Jugend und ihrer Erzieher, einer Kette von Revolten, die
schließlich zur Revolution der Erziehung führt?“ (Bernfeld 1974a: 109)
„Überdies ist die neue Erziehungsgesinnung, die wir vertreten, und die sozialistisch
ist, d. h. auf Massen ausgeht und Wirtschaft mit einbezieht, charakterisiert durch die
Notwendigkeit, sich einen Verwaltungs- und Wirtschaftskörper zu bauen, der bis ins
Letzte durch die geistigen Forderungen der Erziehung bestimmt ist. Daher muß der
technische und der Verwaltungsapparat ganz und gar untergeordnet sein der pädagogischen
Instanz.“ ...
„Für das Gelingen einer große Schulsiedlung ist entscheidend, ob von Anfang an
ein Kern für Freiheit und Verfassung reifer Kinder, ob eine - und wäre es nur kleine -
Anzahl von arbeitenden Jugendlichen vorhanden ist, die fähig sind, Verpflichtungen
im Schülerausschuß und den Werkstätten auf sich zu nehmen, ob eine Gruppe da ist
von Lehrern, die es gelernt haben, persönliche Ambitionen auf Würde und unfehlbare
Befehlsgewalt abzulegen und sich mit Kameradschaftsführerschaft zu bescheiden,
schließlich ob in dem Ganzen eine leidenschaftliche Arbeitsgesinnung herrscht, die
ausgeht von den eigentlich arbeitenden Menschen in der Siedlung.“ ...
„Die Lehrer sollten nach zwei Prinzipien ausgewählt werden: Erstlich solche, die
vorzügliche Didaktiker der neuen Methode sind; zweitens junge Leute, vor allem Hörer
des jüdischen Pädagogiums, die mit jüdischer Bildung Kinder- und Jugendführerqualitäten
verbinden, und von jenen die Methodik praktisch erlernen sollten, um später
als Schulsiedlungslehrer funktionieren zu können. Möglichst viele von ihnen sollten
in den Baracken wohnen, durch Bibliothek, Musik- und Gesellschaftszimmer
sollte ihnen freier Verkehr untereinander und mit Bildungsmöglichkeiten gegeben
sein.“ (Bernfeld 1974a: 111 f.)
Bernfeld beruft sich auf Maria Montessori, Berthold Otto und Gustav
Wyneken und bemerkt, die Selbstregierung in Baumgarten
„unterscheidet sich in vielen Punkten von den gleichbenannten oder gleichgemeinten
Einrichtungen in Wickersdorf, bei Otto, in der George Junior Republic, der Odenwaldschule,
den Deutschen Landerziehungsheimen und ähnlichen Anstalten. Das ist
aber keineswegs bewußte Absicht gewesen, sondern wurde so aus ihrer Geschichte.
Wir hatten überhaupt nicht etwas ganz Bestimmtes vor. Nur soviel war uns von Anfang
an klar, daß die Kinder nicht die willenlosen Objekte unserer Macht, nicht die
457