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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Neill war nun ein überzeugter Sozialist. Er war stark von G. B. Shaw beeinflusst,<br />

begeisterte sich für William Morris Ideen von Utopia, interessierte<br />

sich für Nietzsche und Schopenhauer und war regelmäßiger Leser radikaler<br />

Journale wie New Statesman und insbeson<strong>der</strong>e New Age. Die Zeitschrift New<br />

Age, in <strong>der</strong> Neill auch einige Artikel veröffentlichte, war dem genossenschaftlichen<br />

Selbstverwaltungs-Sozialismus (Guild-Socialism) zuzurechnen,<br />

dem auch Neill eine Zeit lang anhing.<br />

Neill schrieb im Dominie's Log <strong>aus</strong> voller Überzeugung, daß Erwachsene<br />

den Kin<strong>der</strong>n nicht ihre <strong>Wer</strong>te aufdrängen dürfen, daß er nicht (insbeson<strong>der</strong>e<br />

moralisch) urteilen will und daß er die Kin<strong>der</strong> lehren will, nicht zu urteilen,<br />

son<strong>der</strong>n zu verstehen. Die 55 Jahre später interviewten ehemaligen Schüler<br />

(Hemmings 1972: 17) erinnerten sich, daß sie Neill und seine Zwanglosigkeit<br />

sehr mochten, während den Eltern die Schule meist ziemlich egal<br />

war. Trotzdem war sein Unterricht keineswegs kind-zentriert. Neill verkündete<br />

und predigte seine definitiven sozialreformerischen Überzeugungen und<br />

gab zu:<br />

‚Meine Theorien über Erziehung sind rein persönlich, wenn ich etwas nicht mag<br />

nehme ich an, daß meine Kin<strong>der</strong> es auch ablehnen. Und seltsamerweise ist meine<br />

Vermutung fast immer richtig.‘ 249<br />

Allerdings hatte Neill ständig Ärger mit <strong>der</strong> Schulverwaltung, die die längst<br />

überfüllte Schule (wohl auch kriegsbedingt) verkommen ließ, kein Heizmaterial<br />

lieferte und die dadurch geplatzten Wasserrohre ebensowenig reparierte<br />

wie zerbrochene Scheiben und den heruntergefallenen Deckenputz, und die<br />

schließlich auch die Schule nicht mehr reinigte. Bei Kälte mußte zeitweise <strong>der</strong><br />

Unterricht <strong>aus</strong>fallen.<br />

Neill beklagte schon im Dominie's Log, daß jegliche Erwähnung von Sexualität<br />

in <strong>der</strong> Staats-Schule seine (sowieso als sicher erwartete) sofortige<br />

Entlassung bedeuten würde, und träumte schon 1915 von <strong>der</strong> Eröffnung einer<br />

privaten Schule, in <strong>der</strong> er größere pädagogische Freiheiten hätte, und wo er<br />

Sexualerziehung einführen würde.<br />

Reaktionen auf das Buch (Rezensionen, Zuschriften) brachten ihn in Kontakt<br />

mit Gleichgesinnten.<br />

Neills 1917 erschienenes zweites Buch A Dominie Dismissed (Hin<strong>aus</strong>wurf<br />

eines Schulmeisters) ist eine fiktive Geschichte über seinen stets erwarteten,<br />

aber nie erfolgten 250 Hin<strong>aus</strong>wurf <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Schule. Hier entwickelte er seine<br />

249 „My theories on education are purely personal; if I don't like a thing I presume that my<br />

bairns dislike it. And the strange thing is that my presumptions are nearly always right.“<br />

(Neill: A Dominie's Log, zitiert in Croall 1984: 64 f.)<br />

250 Die Autoren-Vorstellung <strong>der</strong> Neu<strong>aus</strong>gabe von A Dominie's Log (London: Hogarth 1986)<br />

nimmt den fiktiven Hin<strong>aus</strong>wurf fälschlich für bare Münze. Dem stehen sowohl Neills<br />

Autobiographie (1982) als auch beide Biographien (Croall 1984; Hemmings 1972) entgegen.<br />

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