Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Praxis umgesetzt wurden und ab Ende der 20er Jahre unter Stalin ganz gestoppt
und zurückgenommen wurden, wurde im Ausland nur äußerst langsam
bekannt. Die meisten Enthusiasten - wie Neill 402 - glaubten es über lange
Jahre nicht und wollten es auch nicht glauben.
Viele Lehrer und auch Eltern in Summerhill waren linksgerichtet, etliche
gehörten der KP an. Neill selbst 403 schwankte zwischen der unabhängigen
Sozialdemokratie und den Kommunisten, trat aber weder der KP noch der
ILP bei 404 , weil er allgemein nur ungern Verbänden angehörte und weil ihm
die Politik Summerhills über alles ging: eine feste Bindung an einen Verband
oder eine Partei hätte der Schule schaden können. Wegen der Gefahr, als rote
Schule angesehen zu werden, sah er auch das Parteiengagement der Lehrer
nicht gern, obwohl er durchaus nichts dagegen unternahm. Trotzdem wurde
die Schule von Gegnern gelegentlich schlicht als kommunistische Schule bezeichnet.
In einem Brief an Bertrand Russell bezeichnete Neill sich und
Russell als die einzig radikal kommunistischen Erzieher 405 .
Viele der Erwachsenen in Summerhill nahmen sehr aktiven Anteil an der
Lokalpolitik in Leiston und beteiligten sich auch an der Gründung einer lokalen
Monatszeitung The Leiston Leader, die von fast der Hälfte der Einwohner
gekauft wurde. Für die ersten Nummern stellte Neill seine Vervielfältigungsmaschine
zur Verfügung. Auch die Summerhill-Kinder beteiligten sich gern
an den politischen Aktivitäten, schrieben Transparente, adressierten Umschläge,
verteilten Flugblätter, besuchten Versammlungen. Neill mißbilligte
die Einbeziehung der Kinder und schritt ein, als Angestellte sie die Zeitung
Daily Worker verkaufen lassen wollten, die Zeitung, die Neill abonnierte und
für die er manchmal schrieb. Denn Neill betonte, daß freie Erziehung einen
freien offenen Geist erlauben müsse und die Kinder darum von jeglicher politischer
Formung durch Erwachsene geschützt werden müs-
acher has been dismissed for even slapping a child. ... Every Soviet school is an activity
school.“ (John Lister in Croall 1984: 239, „...“ dort)
402 „‚The truth is that I wanted to believe in the new order; I wanted to think that the new
education in Russia was wonderful‘. Neill was not alone in pinning his reforming hopes
to the Soviet flag in the aftermath of the Russian Revolution“ (Croall 1984: 237).
Noch 1932 (in The Problem Parent) beschrieb Neill Rußland als das wunderbarste Land
der Welt. 1934 nannte er die Demokratie in Summerhill vollständiger als jede andere
Demokratie, vielleicht mit Ausnahme eines Sowjetdorfes in Rußland, und noch 1937 bezeichnete
er Rußland als kreative Zivilisation und beantragte ein russisches Einreisevisum,
das ihm jedoch ohne jede Begründung verweigert wurde. Etwa zu dieser Zeit begannen
seine Zweifel und seine sich über Jahre hinziehende Desillusionierung.
403 Siehe zur politischen Betätigung Neills und Summerhills in den 30er Jahren Croall
(1984: 241 - 247).
404 Ob er aus der Labour Party, der er 1913 beigetreten war, wieder austrat oder nicht, bleibt
offen.
405 „the out and outer Bolshies of education“ (Neill in einem Brief an Bertrand Russell, etwa
Dezember 1930, zitiert in Croall 1984: 167).
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