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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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eitserleichternde, bequemere, eher den persönlichen Interessen dienende<br />

Möglichkeiten abzulehnen und zu verurteilen. <strong>Wer</strong> persönliche, private Interessen<br />

o<strong>der</strong> abweichende Meinungen vertrat, geriet schnell in den Verdacht<br />

mangeln<strong>der</strong> heldenhaft-opferbereiter Einsatzfreude o<strong>der</strong> schwächlicher Jammerei.<br />

Nur <strong>der</strong> kollektive Nutzen galt als wertvoll.<br />

In dieser intoleranten Atmosphäre konnte sich die öffentliche Meinung<br />

nicht frei entwickeln, son<strong>der</strong>n wurde (letztlich durch Makarenko) durch Tabus,<br />

Ge- und Verbote behin<strong>der</strong>t bzw. so eng gelenkt, daß gewisse Themen<br />

und Diskussionen gar nicht erst aufkommen konnten. Beim Verbot sexueller<br />

Beziehungen war die öffentliche Meinung<br />

„so streng, daß selbst <strong>der</strong> Gedanke (!) an irgendeine Diskussion (!) unmöglich ist.“<br />

(Makarenko 1974: 117, Ausrufezeichen von mir)<br />

Dabei herrschten formal durch<strong>aus</strong> demokratische Zustände, je<strong>der</strong> hatte das<br />

Recht, sich zu äußern:<br />

„Je<strong>der</strong> Kommunarde konnte in <strong>der</strong> Vollversammlung eine beliebige Frage aufwerfen,<br />

es stand jedoch im Ermessen des Vorsitzenden, die Frage zur Diskussion zu stellen<br />

o<strong>der</strong> sie an den Rat <strong>der</strong> Kommandeure bzw. an eine Kommission zu verweisen.“<br />

(Hillig u. Weitz 1971: 60)<br />

<strong>Wer</strong> versuchte, sein (unbestrittenes!) Recht auch tatsächlich wahrzunehmen,<br />

geriet dadurch sehr leicht in unangenehme Schwierigkeiten: Abweichende<br />

Äußerungen waren zwar nicht verboten, galten aber leicht als unanständig,<br />

ungehörig o<strong>der</strong> unmoralisch und wurden deshalb nicht geduldet. Der informelle<br />

Druck <strong>der</strong> öffentlichen Meinung und <strong>der</strong> Traditionen schränkte die<br />

formal bestehenden demokratischen Rechte faktisch radikal ein. Rechtsbegriffe<br />

wie erlaubt und verboten erfassen die Realität in Makarenkos Einrichtungen<br />

nicht: hier ist Übereinstimmung gefor<strong>der</strong>t.<br />

Befehle (die unbedingt mit ‚Jawohl‘ zu beantworten und <strong>aus</strong>zuführen waren),<br />

durften nie (!) kritisiert werden, es sei denn öffentlich in <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

o<strong>der</strong> im Rat <strong>der</strong> Kommandeure. Die Kritik dort dürfte aber nur<br />

selten vorgekommen sein, denn grundsätzlich ging man hier davon <strong>aus</strong>, daß<br />

die Kommandeure - insbeson<strong>der</strong>e im Rapport - unbedingt die Wahrheit sagten.<br />

Mit abweichenden Meinungen und Handlungen wurde äußerst hart und<br />

feindselig umgesprungen, so daß es riskant war, sich so zu exponieren.<br />

Einem Jugendlichen, <strong>der</strong> im Herbst 1930 552 sein Re<strong>der</strong>echt in <strong>der</strong> Versammlung<br />

zur schlichten Frage nutzte, „Und wann werden sie uns neue Schuhe<br />

geben?“ (Makarenko 1974: 190), wurde heftig von allen Seiten mit<br />

552 Die Kommune hatte gerade auf weitere Zahlungen des Trägers verzichtet, um sich zukünftig<br />

selbst durch Arbeit zu finanzieren. Es war Herbst und deshalb vermutlich kalt<br />

und das Barfußgehen unangenehm (vgl. Makarenko 1974: 186 f.).<br />

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