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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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kter <strong>aus</strong> England abzuschieben. Dabei ging es nicht um Rechtsverstöße, son<strong>der</strong>n<br />

lediglich um den Vorwurf des schlechten Charakters.<br />

Die Anklage stützte sich vor allem auf die bei <strong>der</strong> H<strong>aus</strong>suchung in den<br />

Fallakten gefundene Briefe, in denen einige tatsächlich mißverständliche Begriffe<br />

verwendet wurden. Vor allem <strong>der</strong> von Lane extensiv verwendete Begriff<br />

Liebe (sein Grundbegriff, die Antriebskraft des Universums schlechthin)<br />

sowie die Begriffe Gott und Teufel (für die gesunde, kreative Liebe und die<br />

ungesunde, kranke, besitzende Liebe) spielten hier eine Rolle. Die Anklage<br />

folgerte <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Beteuerung Lanes, daß er eine Patientin liebe, direkt auf sexuelle<br />

Beziehungen. Ein von einem Schüler in <strong>der</strong> Therapie angefertigtes<br />

erotisches Wasserfarbenbild sowie etliche Präservative, für die einige Schüler<br />

nach <strong>der</strong> Behandlung keine Verwendung mehr hatten, hatte Lane zur Erinnerung<br />

bei <strong>der</strong> Vorbereitung seines Buches zu den Fallakten geheftet. Diese für<br />

eine psychoanalytische Praxis kaum ungewöhnlichen Dinge dienten nun zum<br />

Nachweis, er sei ein zügelloser Charakter, <strong>der</strong> sich betrügerisch als Therapeut<br />

<strong>aus</strong>gäbe, um dies sexuell und finanziell <strong>aus</strong>zubeuten.<br />

Die Skandalpresse berichtete detailliert in über 100 Artikeln und druckte<br />

ganze Briefe ab. Lanes Verteidiger setzten dem Charakterzeugnisse berühmter<br />

Lane-Schüler entgegen, die auch beträchtlichen Eindruck machten.<br />

Im Verlauf des Berufungsprozesses wurde deutlich, daß Lanes Abschiebung<br />

sicher zu erwarten war. Die unbestrittene und von sämtlichen Beteiligten<br />

als töricht und unverantwortlich empfundene Annahme großer Summen<br />

(sowie <strong>der</strong>en zweckwidrige Verwendung) von einer emotional labilen Person<br />

reichte dazu <strong>aus</strong>. Nach einer verbindlichen Erklärung Lanes, das Land freiwillig<br />

zu verlassen, wurde <strong>der</strong> Prozeß abgebrochen. Die Berichte <strong>der</strong> Skandalpresse<br />

hatten Lanes weitere Arbeit in England sowieso unmöglich gemacht,<br />

die zugesicherte Abreise ersparte ihm weitere Haft.<br />

Mit Familie und ohne Altersversorgung stand er buchstäblich vor dem<br />

Nichts. Als gebrochener, kranker Mann machte er eine Weile Urlaub im<br />

Ausland. Lord Lytton 206 bat ihn zwar, zu ihm nach Indien umzusiedeln, doch<br />

Lane fühlte sich zu alt für einen völligen Neuanfang. Pünktlich vor dem<br />

letztmöglichen Abreisetermin erkrankte er an Typhus und Lungenentzündung<br />

und starb am 5. September 1925 im Amerikanischen Hospital in Paris, zwei<br />

Wochen vor seinem 50. Geburtstag. Seine Asche wurde zwei Tage später in<br />

Père Lachaise beigesetzt.<br />

206 Lytton war soeben zum britischen Vizekönig in Indien erhoben worden.<br />

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