Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Kritik stets als Verrat an seiner Person und an Bemposta auffasst und darauf
mit Hinauswurf reagiert, der selbst aber extrem unzuverlässig und zu jedem
Vertrauensbruch fähig ist, der lügt, Geld unterschlägt, bisherige Freunde willkürlich
hinauswirft oder gefasste Beschlüsse eigenmächtig abändert und
ignoriert.
Zwar lehrt der Pater die Kinder theoretisch, für ein revolutionäres Ideal zu
kämpfen, doch beim ersten praktischen Versuch verbietet er ihnen jegliche
Selbständigkeit. Wer bleiben will, darf ihm nicht widersprechen. Wer anderer
Meinung ist, wird hinausgeworfen.
Für viele Jugendliche brach eine Welt zusammen, als sie die andere Seite
des Paters kennenlernten.
„Die Rechte, die man uns immer versprochen hat, existieren eigentlich nur mündlich.
Wer nicht bereit ist, sich völlig dem Cura unterzuordnen und deshalb Bemposta verlassen
will, erlebt die Hölle. Das ist etwas, was mich jetzt stark verletzt hat, bei meinem
Austritt. Pater Silva hat uns immer gesagt, Bemposta sei unser Zuhause und er
unser Vater. Wenn Du dann aber erwachsen wirst, läßt er Dich nicht wegziehen. Er
beleidigt Dich, kritisiert Dich und macht Dich physisch und praktisch fertig, wo immer
er nur kann.“ (Fernando Vasquez Rodriguez, der als Kind und Jugendlicher 10
Jahre in Bemposta lebte, in Poschkamp u. Schnyder 1985: 152)
Pater Silva befasst sich vor allem mit ideologischen und sozialen Fragen. Er
provozierte und schockierte liebend gern und rhetorisch perfekt mit verbalradikalen
Äußerungen, z. B. mit seiner Sympathie für den Sozialismus im
Ostblock (in Franco-Spanien!), ohne diese Sympathie jedoch in praktisches
Verhalten umzusetzen. Seine Vorstellungen passen keineswegs stimmig zusammen.
Kritische ältere Jugendliche nahmen dem Pater auch die offenkundige
Privilegierung der Silva-Kinder übel.
Eine - mehrfach angebotene - Unterstützung durch professionelle Pädagogen,
die seine persönliche Herrschaft und die Herrschaft seiner Ideologie beendet
hätte, hat Silva stets abgelehnt.
Der Pater ist als Leiter des Kinderzirkus viel abwesend, und in dieser Zeit
leitet sein Bruder und Vertreter Pocholo die Kinderstadt. Im Gegensatz zum
umfassend geachteten und geliebten Pater wird Pocholo nur gefürchtet. Er
wird als autoritär, diktatorisch, sehr aggressiv, aufbrausend, drohend,
angsteinflößend, häufig schimpfend, beschimpfend und fluchend, als grob,
persönlich beleidigend, als egoistisch beschrieben. Er gilt als lediglich wirtschaftlich
motiviert, das Wohlergehen der Kinder und die Ideologie scheinen
ihn nicht zu interessieren.
So wird die Kinderrepublik - einfach aufgrund finanzieller und familiärer
Zusammenhänge - faktisch meistens von einer pädagogisch unfähigen und
uninteressierten Person geleitet, die den Kindern Angst einflößt, als willkürlich,
überheblich und vor allem am Geld interessiert beschrieben wird.
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