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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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„Es wurde ein neuer Schulleiter nach Hellerau bestellt. Er hieß Hermann Harleß, war<br />

ein Schwabe und ein nüchterner, weniger tyrannischer Pädagoge. Aber <strong>der</strong> magische<br />

Bann, in dem die faszinierende Persönlichkeit Carl Theils uns gehalten hatte, war gebrochen,<br />

ließ sich nicht von neuem heraufbeschwören o<strong>der</strong> übertragen, und hinfort<br />

war die pädagogische Provinz nicht mehr, was sie einst gewesen.“ (de Mendelssohn<br />

1993: 20)<br />

Neills erste Kin<strong>der</strong>gruppe war sehr international: 4 Englän<strong>der</strong>, 1 Russe, 2<br />

Belgier, 3 Jugoslawen, 1 Norweger, sowie auch 3 Deutsche, die (dem Gesetz<br />

Viel war zu lernen in diesen zwei Jahren des Chaos, und alle Formen <strong>der</strong> Menschlichkeit<br />

kamen beglückend und erbärmlich an uns heran. Wi<strong>der</strong> alles Erwarten war die pädagogische<br />

Ausbeute erfreulich: die Jugend gedieh trotz des Durcheinan<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Erwachsenen;<br />

treue Mitarbeiter halfen bauen und wahren; eine verständnisvolle Behörde und eine vertrauende<br />

Elternschaft sah, was ehrlich geschaffen wurde; die Familie fand sich wie<strong>der</strong><br />

zusammen und überwand ihre schlimmste Zeit. So liegt doch auch viel Sonne über den<br />

Hellerauer Jahren.<br />

Als man mich 1924 nach Wyk auf <strong>der</strong> Nordseeinsel Föhr rief, um dort die Leitung des<br />

Nordseepädagogiums zu übernehmen“ ... (Harless 1950 unpaginiert).<br />

Infolge von Meinungsverschiedenheiten verließ Harless das Nordsee-Pädagogium Südstrand<br />

auf Föhr und eröffnete (erstmals selbständig) im Oktober 1928 in Burg/Schloß<br />

Marquartstein in Oberbayern das Lan<strong>der</strong>ziehungsheim Marquartstein. Die Schule wurde<br />

im Mai 1943 verstaatlicht und steht seither (und auch nach dem Krieg) unter an<strong>der</strong>er<br />

Leitung.<br />

Harless dachte und handelte durch<strong>aus</strong> international, wollte seine Schüler fremde Kulturen<br />

durchfühlen lassen und betont u. a. deshalb die Fremdsprachen (1931: 7). Er sah auch<br />

sehr scharf die mo<strong>der</strong>nisierungsbedingten soziologischen Ursachen <strong>der</strong> Jugendkrise und<br />

die Unangemessenheit autoritärer Reaktionen dagegen (1930) und befürwortete Selbsttätigkeit<br />

in allen Formen (ebd.). Er wollte eine gleichberechtigte enge persönliche Fühlungnahme<br />

von Schüler und Lehrer ohne Autoritätsbedürfnis sowie eine stärkere Betonung<br />

<strong>der</strong> Erziehung vor <strong>der</strong> Wissensvermittlung. Der Lehrer sollte vor allem wirklich lebendig<br />

und von seinem Stoff ergriffen sein und diese innere, seelische Bewegtheit nach<br />

außen <strong>aus</strong>strahlen, um so selbst den trockensten Stoff noch zum Erlebnis zu machen<br />

(1930: 538). Insofern hat er einige Ähnlichkeiten mit Neill. Doch auch die Unterschiede<br />

sind groß:<br />

Im Gegensatz zu Neill for<strong>der</strong>te er strenge Zucht, legte hohe Leistungs- und Qualitätsmaßstäbe,<br />

überhaupt starke <strong>Wer</strong>tmaßstäbe an: denn wer Kin<strong>der</strong> dilettieren läßt, versündigt<br />

sich an Geist und Form (1931: 7). „Unsere Aufgabe ist es jedenfalls, <strong>der</strong> kommenden<br />

Kultur bewußt zu dienen.“ (1931: 5) ... „Das Rückgrat je<strong>der</strong> Kultur ist die religiöse<br />

Idee.“ (1931: 5) ... „In diesem Licht wird auch <strong>der</strong> Geist wie<strong>der</strong> zum gestaltenden Herrn<br />

<strong>der</strong> Erscheinungen. Furchtlos und ehrfürchtig, denn er ist Gott-gewollt und Gott-geboren“<br />

(1931, 5)... „Mit diesem Glauben tritt eine Erziehungsaufgabe und die gesamte Bildungsaufgabe<br />

hervor: Einen in Gott ruhenden, freudigen und zuchtvollen Willen zu Geist und<br />

Form sich selbst erkämpfen und in an<strong>der</strong>en wecken.“ (1931: 6)<br />

Er unterschied auch (ohne große Herleitung) Kin<strong>der</strong> in wertvolle und drittwertige Typen<br />

(1930: 537) und bevorzugte die tiefgründige Begabung vor dem bloß unoriginellen,<br />

dünnen Intellekt (ebd.).<br />

„Man folgere <strong>aus</strong> dem Gesagten nicht, daß wir zu den weichmütigen Naturen gehören,<br />

die [...] jede Beeinflussung <strong>aus</strong>schalten wollten und in Verzückung um jede spontane<br />

Regung des sich selbst überlassenen Kindes herumstanden. Schwäche schädigt das Kind<br />

psychisch noch mehr als eine rudimentäre Autoritätshaltung. <strong>Wer</strong> sein Kind ohne verpflichtende<br />

Form laßt, treibt es in die Irre; wer je<strong>der</strong> Unart nachgibt, läßt die Hilflosigkeit<br />

des Kindes ohne Hilfe; wer jeden Wunsch gewährt, unterbindet Wunschkraft, Phantasie<br />

und Gestaltungswillen.“ (1930: 535, Auslassung von mir)<br />

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