09.12.2012 Aufrufe

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

22.6.2.4. Die Behandlung <strong>der</strong> Vergehen (Gerichtshof, Ehrenkodex,<br />

Erziehungs<strong>aus</strong>schuss)<br />

Mit <strong>der</strong> Verfassung war auch eine Gerichts- und Strafordnung entstanden,<br />

die je nach Schwere des Vergehens (in Strafpunkten) festgelegte Strafen vorsah,<br />

die von Verwarnung über Ausgangssperren, Süßigkeitenentzug und<br />

Strafarbeiten bis zum Heim<strong>aus</strong>schluß reichten. Kurz bevor Zielinski das Heim<br />

übernahm, hatten die Jungen von einem Unschuldigen durch Mannschaftskeile<br />

ein falsches Geständnis erpresst, das dann Grundlage einer äußerst harten<br />

Bestrafung zu Beginn von Zielinskis Leitung war. Zielinski hob das Gericht<br />

auf. Bevor er Ende 1949 sehr vorsichtig wie<strong>der</strong> einen neuen Jungengerichtshof<br />

schuf, übernahm er das Strafwesen lange Zeit in die eigene Hand.<br />

Auf Vorschlag des Paten wurde dann in sechs <strong>aus</strong>gedehnten Sitzungen ein<br />

Ehrenkodex (Honor-System) geschaffen und am 26. Juni 1948 verkündet<br />

(Wortlaut in Zielinski 1950: 104 - 106). Das Honor-System galt <strong>aus</strong>nahmslos<br />

für alle Jungen des Heims und vergab Pluspunkte für Son<strong>der</strong>leistungen o<strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>s vorbildliches Verhalten und Minuspunkte für Regelverletzungen.<br />

Dem wöchentlich abgerechneten Punktestand entsprechend wurden vom Jungenstadtrat<br />

Belohnungen vergeben o<strong>der</strong> Vergünstigungen entzogen. Plus- und<br />

Minuspunkte waren gegeneinan<strong>der</strong> aufrechenbar. Für die Vergabe von Minuspunkten<br />

bestand eine detaillierte Liste, die aber meist einen sehr weiten<br />

Spielraum ließ, z. B. waren für Unterschlagung 5 - 100 Minuspunkte vorgesehen.<br />

Je<strong>der</strong> Angehörige des Heims war zur Feststellung eines Vergehens o<strong>der</strong><br />

Verdienstes berechtigt, die dann bei den Jungenstadträten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heimleitung<br />

in Punkten bewertet und in die Liste eingetragen werden konnten. Bei<br />

unterschiedlichen <strong>Wer</strong>tungen durch verschiedene Personen galt die je günstigere,<br />

im Streitfall entschied <strong>der</strong> Jungenstadtrat o<strong>der</strong>, wenn <strong>der</strong> sich ebenfalls<br />

nicht einigen konnte, <strong>der</strong> Erziehungs<strong>aus</strong>schuß. Mit mehr als 50 Minuspunkten<br />

bewertete Vergehen waren dem Jungenstadtrat vorzulegen. Dies System berücksichtigte<br />

- an<strong>der</strong>s als ein reines Strafsystem - gleichwertig auch das positive<br />

Verhalten, und die Punktwertung blieb durch enorme Spannweiten äußerst<br />

flexibel.<br />

Zielinski waren die Schwachpunkte des Systems von vornherein klar: die<br />

Tendenz zum Überwachungs- und Aufpassersystem und einem<br />

„Utilitarismus <strong>der</strong> guten Taten“ (Zielinski 1950: 107). Er vertraute jedoch<br />

darauf, daß die Jungen in <strong>der</strong> Praxis die negativen Züge erkennen und dann<br />

das System abän<strong>der</strong>n würden:<br />

594

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!