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Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

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„Manche Lehrer erwarten bei Reisen zu den ehemaligen Vernichtungslagern von ihren Schülern ein<br />

angemessenes Verhalten, wozu Betroffenheit, Schock und Tränen gehören. Ein Überleben<strong>der</strong> fragte in<br />

Bergen-Belsen: ‚Angemessenes Verhalten an diesem Ort – was ist das? Als ich hier war, wurde hier<br />

gemordet und gestorben. Das war das angemessene Verhalten in Bergen-Belsen …’ Damit versuchte er<br />

zu verdeutlichen, daß es kein angemessenes Verhalten für diese Orte gebe, daß er jedenfalls selber nicht<br />

wisse, wie man sich dort heute verhalten solle.<br />

Wir sollten nach Wegen suchen, die es Jugendlichen ermöglichen, selber Bezüge herzustellen, ihre<br />

Fragen zu entwickeln und Zugänge zu erarbeiten. Und wir sollten vor allem nicht so tun, als wüssten<br />

wir, wie man mit dieser Geschichte angemessen umgeht.“ 404<br />

Gemeinsam mit einer allgemeinen Moralisierung <strong>der</strong> Geschichtskultur über den Holocaust<br />

kann die moralische Aufladung in <strong>der</strong> Vermittlung zu Abwehrreaktionen führen.<br />

Auch Astrid Messerschmidt warnt daher vor einem belehrenden Duktus in <strong>der</strong> Vermittlung:<br />

„In pädagogischen Kontexten zeigen sich Achtundsechziger-Identitäten häufig in <strong>der</strong> Form, dass <strong>der</strong> NS<br />

in Bildungszusammenhängen moralisierend vermittelt wird, so als müssten hier noch immer die Fronten<br />

geklärt werden und als seien die Schüler/innen unter Verdacht zu stellen, sie könnten moralisch indifferent<br />

sein, während sich die Lehrenden auf <strong>der</strong> sicheren Seite wähnen […] Die problematischen Selbstbil<strong>der</strong><br />

eigener moralischer Überlegenheit wirken bis heute nach und wirken sich pädagogisch fatal aus<br />

im Verhältnis zwischen zweiter und dritter Generation, wenn diese Bil<strong>der</strong> dazu führen, dass die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Geschichte in Form einer moralischen Belehrung von oben herab erfolgt und bei den<br />

Zielgruppen zu einem Überdruss und zu Desinteresse führen.“ 405<br />

Dies macht die Auseinan<strong>der</strong>setzung schwerer, ist aber vor dem Hintergrund <strong>der</strong> weiter<br />

oben skizzierten gouvernementalen Erinnerungsfor<strong>der</strong>ung in einer „opferidentifizierten<br />

Gedenkkultur“ 406 – Dan Diner spricht von einem universell drapierten<br />

moralisierenden Diskurs über unterschiedslose Opferschaft 407 – nicht ganz unverständlich.<br />

Aber nicht nur die Vermittlung, auch das Thema selbst produziert Abwehr.<br />

So schreibt Matthias Heyl:<br />

„Die Geschichte des Holocaust weckt fast zwangsläufig Abwehr. Es ist ein ganz normaler psychischer<br />

Schutzmechanismus, daß etwas in uns versucht, den ganzen Schrecken nicht an uns herankommen zu<br />

lassen. Es ist kein leichtes Thema, und es ist eben kein Thema wie jedes an<strong>der</strong>e. Umso wichtiger<br />

erscheint es, nach Wegen zu suchen, auch die Neugier und das Interesse zu wecken, Zugänge nicht<br />

gleich durch einen hohen moralischen Anspruch und durch emotionale For<strong>der</strong>ungen zu verschließen.“ 408<br />

404 Heyl, „Holocaust Education“, S. 9.<br />

405 Messerschmidt, Weltbil<strong>der</strong> und Selbstbil<strong>der</strong>, S. 195.<br />

406 Vgl. Ulrike Jureit, Christian Schnei<strong>der</strong>, Gefühlte Opfer. Illusionen <strong>der</strong> Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart<br />

2010.<br />

407 Vgl. Diner, Gegenläufige Gedächtnisse, S. 9.<br />

408 Heyl, „Holocaust Education“, S. 8.<br />

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