Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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Dieser Blickwechsel auf die postnazistische Migrationsgesellschaft als Kondition<br />
hat für die konkrete Frage nach <strong>der</strong> Vermittlung zu Holocaust und zu Nazismus<br />
mehrere ebenso theoretisch-programmatisch wie praktisch-erfahrungsgemäß fruchtbare<br />
Implikationen:<br />
Erstens geht es nicht mehr um die Identifizierung von irgendwelchen „An<strong>der</strong>en“<br />
(ob als „Problem“ o<strong>der</strong> als „Bereicherung“), so dass nunmehr die Logiken <strong>der</strong><br />
Identifizierung selbst in den Blick geraten können, ebenso wie Strukturen des Ausschlusses,<br />
<strong>der</strong> Diskriminierung und <strong>der</strong> Gewalt. Astrid Messerschmidt zufolge gelingt<br />
es einer migrationsgesellschaftlichen Perspektive <strong>der</strong> Pädagogik, ungleiche soziale<br />
Verhältnisse und Lebensbedingungen wahrzunehmen. Die Migrationsgesellschaft ist<br />
dabei „ein Kontext, <strong>der</strong> von allen Bewohner/innen geteilt wird und auf dem Ungleichheit<br />
reproduziert sowie die Ansprüche an Partizipation, Zugehörigkeit und Differenz,<br />
an Gleichheit in Verschiedenheit verhandelt und ausgetragen werden.“ 75<br />
Zweitens wird durch den Blickwechsel auf die postnazistische Migrationsgesellschaft<br />
als Kondition ein Terrain eröffnet, innerhalb dessen Verhandlungen über<br />
die Bedeutung von Geschichte in <strong>der</strong> Gegenwart stattfinden können – von einem<br />
Punkt aus, <strong>der</strong> alle betrifft und ohne dass dabei bereits alle möglichen SprecherInnenpositionen<br />
und Antworten im Vorfeld verteilt sind. Konkrete Verbindungen zwischen<br />
Antisemitismus und Rassismen in unserer Gesellschaft lassen sich dabei etwa ebenso<br />
herausarbeiten wie wesentliche Unterschiede und Brüche. In <strong>der</strong> Vermittlungsarbeit<br />
kann Geschichtsschreibung auf diese Weise als „Kampf um Deutungsmacht“, <strong>der</strong><br />
jeweils in <strong>der</strong> Gegenwart unter den Bedingungen <strong>der</strong> postnazistischen Migrationsgesellschaft<br />
erfolgt, vorgestellt werden. Dabei kann eine Aktualisierungsarbeit stattfinden,<br />
die es den Jugendlichen ermöglicht, Position gegenüber den unterschiedlichen<br />
Geschichtsbil<strong>der</strong>n, mit denen sie konfrontiert sind, zu beziehen. Sie können auf diese<br />
Weise in eine Reflexion darüber einbezogen werden, wie die „Zukunft <strong>der</strong> Vergangenheit“<br />
aussehen könnte und dazu angeregt werden, selbst Überlegungen anzustellen,<br />
wie sich einer historischen Verantwortung gerecht werden ließe, die sich dem<br />
Holocaust als Teil <strong>der</strong> Geschichte Österreichs (als NS-Nachfolgestaat) stellt und<br />
mögliche Konsequenzen daraus formuliert. 76<br />
75<br />
76<br />
Messerschmidt, Weltbil<strong>der</strong> und Selbstbil<strong>der</strong>, S. 99.<br />
Vgl. Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld, Ein Ergänzungsblatt für das Schulbuch. Strategien <strong>der</strong> Vermittlung<br />
in <strong>der</strong> Ausstellung „Verbrechen <strong>der</strong> Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“, in:<br />
Büro trafo.K (Nora Sternfeld, Renate Höllwart, Charlotte Martinz-Turek), Alexan<strong>der</strong> Pollak, In einer Wehrmachtsausstellung.<br />
Erfahrungen mit <strong>Geschichtsvermittlung</strong>, Wien 2003, S. 42.<br />
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