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Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

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nicht bloß vorgefunden, son<strong>der</strong>n erst produziert wird. 207<br />

Auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen einer diskursiven Fragmentierung und Pluralisierung<br />

historischen Wissens seit den 1980er Jahren reagiert die Geschichtsdidaktik also mit<br />

einer allgemeinen Kulturalisierung und einer spezifischen Methodenorientierung.<br />

Einerseits erfährt sie als Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein eine massive<br />

Erweiterung ihres Referenzrahmens – geht es doch nunmehr nicht bloß um fachdidaktische<br />

Aspekte, son<strong>der</strong>n um das weite Feld von Geschichtskulturen in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

An<strong>der</strong>erseits wird, was den lernspezifischen Charakter <strong>der</strong> Disziplin betrifft,<br />

<strong>der</strong> Fokus auf die Entwicklung von Kompetenzen gelegt, beson<strong>der</strong>s auf die Fähigkeit<br />

zur Reflexivität im Umgang mit Quellenmaterial. Starke Ansprüche und normative<br />

Ziele geraten dabei eher in den Hintergrund – werden oft als Gesinnungspädagogik<br />

und Betroffenheitskitsch entlarvt bzw. abgetan. 208 Die <strong>Lernen</strong>den sollen fit für eine<br />

Welt werden, in <strong>der</strong> Geschichte umkämpft ist und sich im ständigen Umbruch<br />

befindet.<br />

Bei all diesen Ansätzen und Umbrüchen haben wir es mit einer Theorie zu tun,<br />

die kaum explizit auf die Tatsache <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft zu reagieren imstande<br />

ist: Die Nation ist – wenn sie auch reflexiv geworden ist – weitgehend bei sich selbst.<br />

Die Frage, die sich für diese Arbeit nun stellen wird, ist, welche Erkenntnisse sich aus<br />

<strong>der</strong> Tatsache <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft für die relevanten Konzepte <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik<br />

(wie Prozessorientierung und Multiperspektivität) ziehen lassen. Darüber<br />

hinaus sind die konkreten Implikationen für das spezifische Thema <strong>der</strong> Vermittlung<br />

207 „Dadurch verstärken pädagogische Handlungsformen und Forschungsperspektiven gesellschaftliche Spaltungen,<br />

wenn sie in Bildungskonzeptionen und -analysen die Unterscheidungen zwischen Herkunftsdeutschen und<br />

‚An<strong>der</strong>en’ verankern und migrantische Min<strong>der</strong>heiten immer wie<strong>der</strong> zu Forschungsobjekten und Son<strong>der</strong>zielgruppen<br />

machen.“, Messerschmidt, Involviertes Erinnern, S. 280.<br />

208 Vgl. Michele Barricelli, Das Visual History Archive des Shoah Foundation Institute, in: Vadim Oswalt, Hans-<br />

Jürgen Pandel (Hg.), Geschichtskultur. Die Anwesenheit <strong>der</strong> Vergangenheit in <strong>der</strong> Gegenwart, Schwalbach<br />

2009, S. 198–211, hier S. 202 f. „Es gibt mittlerweile auch von <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik breit rezipierte (erziehungswissenschaftliche)<br />

Studien, die ein ‚<strong>Lernen</strong> aus <strong>der</strong> Geschichte’, gerade was die Beschäftigung mit <strong>der</strong><br />

NS-Zeit betrifft, unwahrscheinlich anmuten lässt. Eher üben die Jugendlichen als ‚Zeugen <strong>der</strong> Erinnerung’<br />

lediglich das ritualisierte, normativ hochgradig überformte und politisch korrekte Sprechen über diesen<br />

furchtbarsten Abschnitt <strong>der</strong> deutschen und europäischen Geschichte ein; und insofern den Heranwachsenden<br />

diese Rede weitgehend äußerlich bleibt, sind im Grunde auch nur Lippenbekenntnisse im Hinblick auf den<br />

Einsatz für eine demokratisch organisierte und pluralistisch orientierte Weltgesellschaft zu erwarten (was<br />

natürlich nicht ausschließt, dass im Zweifelsfall <strong>der</strong>- o<strong>der</strong> diejenige doch noch in dem intendierten Sinne tätig<br />

wird). Eine wirkliche intellektuelle wie emotional verantwortliche Bewegung abseits distanzierter Gleichgültigkeit<br />

wird man im Zuge historischer Lernprozesse wohl nur auslösen können, wenn die in dieser Materie<br />

so überdeutliche normative Perspektive des Geschichtslernens soweit es geht zurückgenommen und trotz des<br />

beklemmenden Themas Platz für subjektive Relevanzsetzungen sowie echte, d. h. ergebnisoffene Reflexivität<br />

geschaffen wird.“<br />

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