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Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

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Sozial erwünschtes Sprechen<br />

Eine Form <strong>der</strong> Abwehr ist neben Provokation auch <strong>der</strong> passive Wi<strong>der</strong>stand des „sozial<br />

erwünschten Sprechens“. Da das Thema Holocaust in <strong>der</strong> Vermittlung sehr oft hochgradig<br />

normativ behandelt wird, haben viele SchülerInnen eine Form gefunden, es<br />

nicht an sich herankommen zu lassen, ohne dabei aufzufallen: Sie wie<strong>der</strong>holen die<br />

moralischen, normativen Stehsätze, ohne sie zu reflektieren, zu teilen o<strong>der</strong> mit ihren<br />

Überzeugungen in Einklang zu bringen. Meik Zülsdorf-Kersting macht auf die hochgradig<br />

normative Dimension in <strong>der</strong> <strong>Geschichtsvermittlung</strong> über den Holocaust aufmerksam<br />

und analysiert eine Unterrichtssituation:<br />

„Jugendliche kennen diese normativen Setzungen, und sie besitzen eine große Sensibilität, um abschätzen<br />

zu können, was sie sagen ‚dürfen’ und was nicht. Ich erinnere mich an einen Schüler <strong>der</strong> 10. Jahrgangsstufe,<br />

<strong>der</strong> die Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz versehentlich als ‚Reise’ bezeichnete<br />

und umgehend Sanktionen <strong>der</strong> gesamten Klassengemeinschaft zu spüren bekam. Seine Mitschülerinnen<br />

und Mitschüler wendeten sich um und schauten den Jungen empört an, die Lehrerin wie<strong>der</strong>holte die<br />

Schüleräußerung ironisierend. Ein meinungsstarker Schüler nannte den Schüler beim Nachnamen und<br />

fragte, ob er eigentlich bei Trost sei. Analytisch geklärt wurde nichts, und trotzdem wird <strong>der</strong> Schüler<br />

seine ‚Lektion’ in Sachen sprachlicher Normierung gelernt haben.“ 409<br />

Zülsdorf-Kersting macht deutlich, dass hier nicht gelernt wird, selbstständig zu<br />

urteilen, son<strong>der</strong>n dass stattdessen eine „Einübung sozial erwünschten Redens“ stattfindet.<br />

Diese spiegelt hegemonietheoretisch gesprochen einen gewissen gesellschaftlichen<br />

Konsens über die Wichtigkeit <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Holocaust –<br />

und eine damit verbundene sprachliche Sensibilisierung und moralische Aufladung –<br />

<strong>der</strong> sicherlich durchaus als Errungenschaft zu verstehen ist und in Deutschland viel<br />

stärker ausgeprägt ist als in Österreich. Zugleich handelt es sich dabei aber auch um<br />

eine normative und normierende Form <strong>der</strong> Oberflächenkommunikation, die oft nicht<br />

den Überzeugungen <strong>der</strong> Jugendlichen entspricht. Denn, so Zülsdorf-Kersting, im<br />

„Vorfeld des Geschichtsunterrichts haben sich die Jugendlichen politisch z. T. höchst<br />

inkorrekte und trotzdem identitätsrelevante Sichtweisen auf den Nationalsozialismus<br />

angeeignet, sie haben aber auch ‚gelernt’, wie sie sich über das Thema ‚Nationalsozialismus’<br />

äußern müssen, um den Erwartungen ihres sozialen Umfelds gerecht zu<br />

werden.“ 410 So haben Jugendliche also als Antwort auf gouvernementale normative<br />

Diskurse eine Form des Sprechens entwickelt, an das sie nicht glauben und das ihnen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen erspart. Die Frage ist nun, wie die Vermittlung darauf<br />

409 Zülsdorf-Kersting, Die Ambivalenz <strong>der</strong> sozialen Erwünschtheit.<br />

410 Ebda.<br />

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