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Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

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<strong>Geschichtsvermittlung</strong> zu Holocaust 2 , Nazismus 3 und Zweitem Weltkrieg an Jugendliche<br />

bilden? Zunächst sollen diese hier mit zwei Konditionen beschrieben werden, in<br />

denen jede <strong>Geschichtsvermittlung</strong> heute steht: dem Postnazismus und <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft.<br />

Beide – die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Kontinuitäten und spezifischen<br />

gesellschaftlichen und edukatorischen Verantwortungen in den NS-Nachfolgestaaten<br />

und die Realität des Aufeinan<strong>der</strong>treffens unterschiedlicher Erinnerungskollektive in<br />

jedem Klassenzimmer – geben einen Rahmen vor, dem es sich zu stellen gilt und <strong>der</strong>,<br />

wenn dies geschieht, zahlreiche, teilweise auch wi<strong>der</strong>sprüchliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

mit sich bringt. Beide Begriffe werden im Zuge dieser Arbeit beschrieben und in zahlreiche<br />

Kontexte gestellt werden. Dabei kann es nicht darum gehen, das Nischenthema<br />

<strong>der</strong> Migration als ein weiteres marginalisiertes Feld in die Holocaust Education<br />

hineinzureklamieren. Vielmehr soll hier eine allgemeine Diskussion bestehen<strong>der</strong><br />

2<br />

3<br />

Mit „Holocaust“ bezeichne ich in dieser Arbeit dezidiert nicht nur den industrialisierten Massenmord an<br />

Jüdinnen und Juden, son<strong>der</strong>n die Gesamtheit <strong>der</strong> nazistischen Massenverbrechen. Was <strong>der</strong> Begriff alles meint<br />

und bezeichnet, ist in <strong>der</strong> Literatur umstritten. Aber heute wird jedenfalls die Zusammenfassung aller Opfer <strong>der</strong><br />

Nazis unter dem Schlagwort „Holocaust“ empfohlen. So schreiben etwa Geoffrey Short und Carol Ann Reed:<br />

„We would therefore urge teachers, when dealing with the Holocaust, to make more than a token acknowledgement<br />

of the fate oft the Roma and Sinti and the Slavs and those who were persecuted on grounds other than<br />

ethnicity such as Jehovah’s Whitnesses, homosexuals, political opponents and Germans with disabilities“.<br />

Geoffrey Short, Carol Ann Reed, Issues in Holocaust education, Al<strong>der</strong>shot/Burlington 2004, S. xi. Den planmäßig<br />

organisierten und industriell durchgeführten Massenmord <strong>der</strong> Nazis an Jüdinnen und Juden bezeichne<br />

ich mit dem Begriff Shoah. Zahlreiche Reflexionen wurden zur Bezeichnung des Verbrechens gemacht, alle<br />

bisherigen Benennungen bleiben problematisch und ungenügend. Wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt heißt<br />

Shoah „Katastrophe“. Dass damit die Konnotation eines scheinbar täterlosen Schicksals mitschwingt, ist ein<br />

Aspekt, <strong>der</strong> die Verwendung des Begriffs schwierig macht, das Angebot einer Identifikation mit den Opfern ein<br />

an<strong>der</strong>er. Ich wähle die jüdische Selbstbezeichnung – die mittlerweile über Israel und jüdische Gemeinden hinaus<br />

Verbreitung gefunden hat – trotzdem, weil sie mir immer am sinnvollsten erscheint, um den Massenmord<br />

an Jüdinnen und Juden zu bezeichnen. Das Wort Holocaust wird in <strong>der</strong> Literatur zu den verschiedenen Themen<br />

dieser Arbeit am häufigsten verwendet, ist jedoch – und das wurde vielfach besprochen – dennoch unzulänglich<br />

und problematisch: Unter an<strong>der</strong>en macht Giorgio Agamben darauf aufmerksam, dass <strong>der</strong> Begriff Holocaust –<br />

<strong>der</strong> auf Griechisch „Brandopfer“ bedeutet und aus einem religiösen Kontext stammt – bereits im Mittelalter<br />

höhnisch gebraucht wurde, um Pogrome an JüdInnen und Juden zu beschreiben. Vgl. Giorgio Agamben, Was<br />

von Auschwitz bleibt, Frankfurt am Main 2003, S. 26 ff. Dieser antisemitischen Geschichte des Wortgebrauchs<br />

möchte ich mich nicht anschließen – auch wenn ich weiß, dass <strong>der</strong> Begriff mit dem gleichnami-gen US-Fernsehvierteiler,<br />

<strong>der</strong> 1978 bzw. in Deutsch 1979 erstmals ausgestrahlt wurde, auch im deutschsprachigen Raum<br />

Verbreitung fand und zunächst als Errungenschaft und Möglichkeit erschien, um den industriellen Massenmord<br />

<strong>der</strong> Nazis an den europäischen Juden und Jüdinnen zu benennen, <strong>der</strong> bis dahin gerne unthematisiert gelassen<br />

und in den Hintergrund gedrängt wurde. Ein weiteres Problem bei<strong>der</strong> Begriffe ist, dass sie keine „Dimension in<br />

<strong>der</strong> Alltagssprache“ des Postnazismus haben und somit dazu einladen, die Verbrechen zu externalisieren. Vgl.<br />

Detlev Clausen, Die Banalisierung des Bösen. Über Auschwitz, Alltagsreligion und Gesellschaftstheorie, in:<br />

Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und<br />

Gewalt, Frankfurt am Main, S. 55, sowie zur Problematik <strong>der</strong> Begriffe Elke Rajal, Erziehung nach/über<br />

Auschwitz. Holocaust Education in Österreich vor dem Hintergrund kritischer Theorie, Diplomarbeit, Wien<br />

2010, S. 19–23. Schlussendlich habe ich mich bei all diesen Problematiken deshalb für die Bezeichnung<br />

Holocaust entschieden, weil <strong>der</strong> Begriff vor dem Hintergrund seiner „Globalisierung“ zahlreiche Reklamationen<br />

erfahren, neue aktuelle Dimensionen erhalten und damit zumindest das Potential hat, die Verbrechen an<br />

Roma und Sinti, an Homosexuellen und den vielen an<strong>der</strong>en Opfern nicht auszuschließen.<br />

In Anlehnung an die Konvention im Englischen und Französischen wähle ich die Bezeichnung Nazismus für<br />

die Weltanschauung und politische Bewegung <strong>der</strong> Nazis. Neben einer bewussten Entscheidung für die Exilund<br />

alliierte Fremdbezeichnung ist es auch eine gegen die Selbstbezeichnung <strong>der</strong> NSDAP und die damit einhergehende<br />

scheinbare Verbindung von Nationalismus und Sozialismus. Ich verdanke Ernesto Laclau den Hinweis<br />

auf die eigentümliche Beständigkeit des langen Wortes „Nationalsozialismus“ im postnazistischen deutschen<br />

Sprachgebrauch im Gegensatz zu den meisten an<strong>der</strong>en sprachlichen Kontexten.<br />

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