Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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interlacing of memories in the force field of public space. The only way forward is<br />
through their entanglement.“ 499 Wenn es also darum geht, was Geschichte für die<br />
Gegenwart bedeutet, dann müssen wir von Verstrickungen und Beziehungen ausgehen.<br />
Daran führt in <strong>Kontaktzonen</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichtsvermittlung</strong> wohl kein Weg<br />
vorbei. So arbeiten etwa auch Doğan Akhanlı und Ulla Kux in Deutschland an einer<br />
<strong>Geschichtsvermittlung</strong>, die die NS-Zeit nicht als deutsche nationale son<strong>der</strong>n als<br />
Beziehungsgeschichte erzählt. Doğan Akhanlı schreibt hierzu:<br />
„Im Laufe <strong>der</strong> Zeit habe ich immer mehr versucht, die NS-Geschichte nicht als Deutsche Geschichte,<br />
son<strong>der</strong>n als Beziehungsgeschichte zu erzählen, um einen Raum zu schaffen für folgende Fragen:<br />
Hat die NS-Geschichte ‚nur’ mit Deutschen zu tun? Was kann die deutsche Geschichte türkischsprachigen<br />
Bürgern sagen? Und umgekehrt: Was hat ‚unsere’ armenisch-türkisch-kurdische Geschichte mit<br />
‚uns’ Deutschen zu tun? Kann man internationale Vergleiche ziehen? Ist Antisemitismus nur ein<br />
Problem für die Mehrheitsgesellschaft?<br />
Wie werden aus ‚normalen Menschen’ Täter (gemacht)? Ist es, weil ‚wir’ als Türken öfter Opfer von<br />
Rechtsextremismus- und Neonazi-Anschlägen sind, ausgeschlossen, dass ‚wir’ auch Täter o<strong>der</strong> potenzielle<br />
Täter gegenüber an<strong>der</strong>en Min<strong>der</strong>heiten, zum Beispiel Armeniern o<strong>der</strong> Kurden, sein können?<br />
Welche Hinweise gibt es für die Entstehung von Rassismus und wohin führt er?<br />
Wie lässt sich <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft mit <strong>der</strong> eigenen Geschichte beschreiben? Welche<br />
Gefahren birgt das Verdrängen von Geschichte? Und: Warum existieren in <strong>der</strong> türkischen Sprache keine<br />
Begriffe wie ‚Aufarbeitung’ o<strong>der</strong> ‚Erinnerungsarbeit’?“ 500<br />
Und dennoch scheint an <strong>der</strong> Konzentration auf die Multidirektionalität etwas problematisch.<br />
Rothberg präsentiert sie von Anfang an als die richtige Antwort auf bestehende<br />
Erinnerungskonkurrenzen. Doch liegt die Antwort wirklich nur in den frei zur<br />
Verfügung stehenden Bezugnahmen auf Geschichte? Oft besteht erfahrungsgemäß die<br />
Möglichkeit unerwarteter Solidaritäten nicht nur darin, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> konkreten<br />
Arbeit mit Geschichte: In <strong>der</strong> Erfahrung damit, dass sich AkteurInnen wi<strong>der</strong>sprüchlich<br />
verhalten und dass es keine ungebrochenen Identitäten gibt (was sich etwa an <strong>der</strong><br />
Frage <strong>der</strong> Positionierung zwischen Wi<strong>der</strong>stand o<strong>der</strong> Kollaboration innerhalb unterschiedlicher<br />
Positionen am Balkan o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Türkei im Zweiten<br />
Weltkrieg, aber auch an vielen an<strong>der</strong>en Beispielen in unserem Projekt gezeigt hat).<br />
Denn wenn wir uns bloß auf die Überwindung identitärer Gruppenerzählungen konzentrieren,<br />
besteht auch die Gefahr, jene Konkurrenzen und Identitäten teilweise erst<br />
499 Vgl. Ebda., S. 312.<br />
500 Doğan Akhanlı, Meine Geschichte – „Unsere Geschichte“. Türkischsprachige Führungen im NS-Dokumentationszentrum<br />
Köln (EL-DE Haus), in: Fechler/Kößler/Messerschmidt/Schäuble (Hg.), Neue Judenfeindschaft?,<br />
S. 312 f.<br />
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