Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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historische Identität erst her. Wir werden also nicht mit nationalen Identitäten<br />
geboren, son<strong>der</strong>n diese werden durch kulturelle Repräsentationen produziert. Er<br />
schreibt:<br />
„Nationale Kulturen werden nicht nur aus kulturellen Institutionen, son<strong>der</strong>n auch aus Symbolen und<br />
Repräsentationen gebildet. Eine nationale Kultur ist ein Diskurs – eine Weise Bedeutungen zu konstruieren,<br />
die sowohl unsere Handlungen als auch unsere Auffassungen von uns selbst beeinflußt und<br />
organisiert. Nationale Kulturen konstruieren Identitäten, indem sie Bedeutungen <strong>der</strong> ‚Nation’ herstellen,<br />
mit denen wir uns identifizieren können: Sie sind in den Geschichten enthalten, die über die Nation<br />
erzählt werden, in den Erinnerungen, die ihre Gegenwart mit ihrer Vergangenheit verbinden und in den<br />
Vorstellungen, die über sie konstruiert werden.“ 150<br />
Für Stuart Hall hätte Geschichtskultur also sehr lange die Funktion <strong>der</strong> „Erzählung <strong>der</strong><br />
Nation“ gehabt. Allerdings ist diese in den letzten dreißig Jahren immer brüchiger und<br />
fragmentierter geworden. Mittlerweile stellt sich – nicht zuletzt in <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft<br />
– eher die Frage nach transnationalen Geschichtskulturen im Plural. Im<br />
Rahmen dieser Arbeit sollen diese nicht bloß als die Aneinan<strong>der</strong>reihung mehrerer<br />
Nationalgeschichten verstanden werden, son<strong>der</strong>n als kritische Auseinan<strong>der</strong>setzungspraxen<br />
mit Repräsentationen und Darstellungsformen vor dem Hintergrund von<br />
Machtverhältnissen. Doch bevor dies geschieht, können die Cultural Studies auch bei<br />
<strong>der</strong> kritischen Perspektivierung eines weiteren Begriffes helfen, <strong>der</strong> für das Geschichtsbewusstsein<br />
wesentlich wurde: <strong>der</strong> historischen Identität.<br />
Historische Identität<br />
„Historische Identität“ bezeichnet die mehr o<strong>der</strong> weniger bewusste Selbstverortung in<br />
Erinnerungskollektiven. War <strong>der</strong> Geschichtsunterricht sehr lange (und ist in vielen<br />
Fällen bis heute) eine Maschine zur Konstruktion nationaler Identität, 151 so soll diese<br />
nun reflektierbar und pluralisiert werden. Wenn in <strong>der</strong> Literatur zur historischen<br />
Identität Fragmentierung auch deutlich einer „nationalen Einheit“ vorgezogen wird,<br />
150 Stuart Hall, Die Frage <strong>der</strong> kulturellen Identität, in: <strong>der</strong>s., Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte<br />
Schriften 2, Hamburg 1994, S. 180–222, hier S. 201.<br />
151 Klaus Bergmann beschreibt dies sehr anschaulich: „Die Geschichte des Geschichtsunterrichts ist gekennzeichnet<br />
durch permanente Versuche, Schüler auf vorgeblich allgemein gültige Identifikationsbasen zu<br />
verpflichten. Geschichtsunterricht war und ist eine obligatorische Veranstaltung des Staates. Im öffentlichen,<br />
staatlich dekretierten und observierten Geschichtsunterricht versuchten <strong>der</strong> Staat und die ihn dominierenden<br />
gesellschaftlichen Machtgruppen, ihr Selbstverständnis in die Köpfe unterschiedslos aller Schüler umzusetzen.<br />
Im Gesinnungsfach Geschichte vermittelten sie den Standort, den sie sich selber im historischen Prozess<br />
zuschrieben, an alle Schüler, verordneten sie Loyalität und verfügten sie verbindliche Identifikationen.<br />
Geschichtsunterricht sollte die Identität des bestehenden sozialen Systems stiften, indem er dessen Vernünftigkeit<br />
historisch legitimierte; er sollte als Geschichtsunterricht den Status quo verbürgen, in dem er zu<br />
ahistorischem ‚Denken’ erzog.“ Klaus Bergmann, Geschichtsunterricht und Identität, in: <strong>der</strong>s.<br />
Geschichtsdidaktik, Beiträge zu einer Theorie historischen <strong>Lernen</strong>s, 2. Auflage, Schwalbach 2000, S. 90.<br />
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