Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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Möglichkeit: Die Deutschen hätten nur das getan, wozu an<strong>der</strong>e auch fähig seien (was<br />
natürlich mit vielen Beispielen illustriert wird) und wozu an<strong>der</strong>e künftig in <strong>der</strong> Lage<br />
wären.“ 260<br />
Zunehmend werden die Perspektiven von TäterInnen und ZuschauerInnen also<br />
in Unterricht und Gedenkstätten thematisiert. Der Verein Gedenkdienst etwa „bezieht<br />
die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Tätern seit Langem umfassend ins Programm von<br />
Gedenkstättenbesuchen ein“ 261 , so Florian Wenninger, Historiker und ehemaliger<br />
langjähriger Präsident des Vereins Gedenkdienst.<br />
„Erst seit wenigen Jahren findet dagegen die Perspektive <strong>der</strong> ‚kleinen’ Nazis stärkere Berücksichtigung<br />
in unserer Arbeit: <strong>der</strong> Blickwinkel jener, die nicht im Terrorapparat Dienst getan haben, die keine hohe<br />
Funktion an <strong>der</strong> Heimatfront innehatten, kurz: den bie<strong>der</strong>en Menschen von nebenan, die aus verschiedensten<br />
Gründen mitgemacht haben.“ 262<br />
In den letzten Jahren wird also auch im deutschsprachigen Raum die Rolle <strong>der</strong><br />
TäterInnenschaft mitten in <strong>der</strong> Gesellschaft sowie jene <strong>der</strong> ZuschauerInnen in <strong>der</strong><br />
<strong>Geschichtsvermittlung</strong> thematisiert. Wenninger begrüßt diese Tendenz, insofern sie<br />
über eine bloße Identifikation mit den Opfern hinausgeht, die ihm zufolge einer<br />
kritischen und aktualisierenden Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Verbrechen nicht immer<br />
unbedingt dienlich ist. Dies ist, gerade weil diese allzu leicht dazu tendieren kann, die<br />
Verbrechen zu externalisieren, überzeugend. Allerdings stellt sich <strong>der</strong> Kontext in<br />
postnazistischen Gesellschaften doch etwas an<strong>der</strong>s dar als in den USA. Von „TäterInnen<br />
und ZuschauerInnen lernen“ ist hier nicht wie dort zu verstehen – heißt es im<br />
Postnazismus doch, sich mit den Positionen <strong>der</strong> eigenen Familien auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Und dies wird wohl – wie oben mit Günther Jacob formuliert – immer an <strong>der</strong><br />
Schnittstelle von Empathie, Identifikation und Desidentifikation geschehen. Thematische<br />
Hegemonien von <strong>der</strong> Opferperspektive zur TäterInnenperspektive zu verschieben,<br />
scheint aus diesem Blickwinkel nicht ganz so einfach. Denn es geht hier ja auch<br />
um Ökonomien <strong>der</strong> Aufmerksamkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Tradierungsdiskurse.<br />
So liest sich auch Wenningers Plädoyer gegen die bloße Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Opferperspektiven nicht mehr ganz so überzeugend:<br />
„So ist es eine unserer katholischen Sozialisation entsprechende, historisch aber wenig tragfähige<br />
Annahme, ein Opfer sei per se jemand, von dem o<strong>der</strong> <strong>der</strong> man lernen könne. Tatsächlich trifft das we<strong>der</strong><br />
auf moralischer noch auf faktischer Ebene mit <strong>der</strong> unterstellten Selbstverständlichkeit zu. Extreme<br />
260 Hannah Arendt, Die Nachwirkungen des Naziregimes – Bericht aus Deutschland (1950), in: dieselbe, In <strong>der</strong><br />
Gegenwart. Übungen im politischen Denken II, München 2000, S. 38–63, hier S. 41.<br />
261 Florian Wenninger, Die Wohnung des Rottenführers D. Über Opferfokus und Täterabsenz in <strong>der</strong> zeitgenössischen<br />
Vermittlungsarbeit, in: Hilmar (Hg.), Ort, Subjekt, Verbrechen, S. 54–74, hier S. 67.<br />
262 Ebda.<br />
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