Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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II.2.3 Wi<strong>der</strong>sprüche zwischen Öffnung und Schließung<br />
Neben <strong>der</strong> klaren Notwendigkeit zum dezidierten Wi<strong>der</strong>spruch sind wir in <strong>der</strong><br />
Kontaktzone auch mit komplizierteren Momenten mannigfaltiger Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit<br />
konfrontiert, die sehr oft nicht einfach auf den Nenner eindeutig abzulehnen<strong>der</strong> Haltungen<br />
gebracht werden können. Immerhin sind Vermittlungssituationen – wenn wir<br />
sie als <strong>Kontaktzonen</strong> verstehen – von vielen unterschiedlichen sozialen Konfliktlinien,<br />
Machtverhältnissen und diskursiven Spannungsfel<strong>der</strong>n durchzogen, die sehr oft in<br />
ihren Vermischungen verhandelt und ausgetragen werden. Diese reichen von sozialen<br />
Fragen (in Sprache und Habitus) über Geschlechterverhältnisse bis zu familiären Verstrickungen,<br />
persönlichen traumatischen Erfahrungen, Migrationsgeschichten und<br />
politischen Positionen. Wenn wir all dies in Betracht ziehen, wird deutlich, dass<br />
we<strong>der</strong> Allianzen noch Konfliktlinien voraussagbar sind. Und nicht selten erweisen<br />
sich Situationen bei längerer Diskussion als völlig an<strong>der</strong>s, als VermittlerInnen sie –<br />
auf den ersten Blick bzw. auf Basis <strong>der</strong> ersten vorgebrachten Argumente – eingeschätzt<br />
hatten. So haben wir es mit einer „<strong>Geschichtsvermittlung</strong> in wi<strong>der</strong>sprüchlichen<br />
Verhältnissen“ 469 zu tun. Und jede Vermittlungssituation in <strong>der</strong> Kontaktzone verlangt<br />
wohl die Fähigkeit, mit Wi<strong>der</strong>streit 470 umzugehen:<br />
„Wer was in welcher Situation ausdrücken will, wenn er antisemitische Äußerungen trifft, muss nicht<br />
nur wegen des hohen Skandalisierungspotentials <strong>der</strong> Etikettierung geduldig untersucht werden, son<strong>der</strong>n<br />
auch, um Ansatzpunkte für eine Motivations- und Ursachenklärung und damit für mögliche Gegenmaßnahmen<br />
zu finden. Bei <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> Themen, <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Akteure, Handlungsfel<strong>der</strong> und<br />
Bezugnahmen ist es wenig verwun<strong>der</strong>lich, dass es zu einer Überlagerung, Vermischung und Überdeterminierung<br />
verschiedenster Diskurse kommt. Mit antisemitisch konnotierten Redeweisen und Weltsichten<br />
werden vielfältige Probleme abgehandelt. Wer pädagogisch wirksam werden will, sollte zunächst fragen,<br />
welche Funktionen ein antisemitisches Klischee in einer bestimmten Situation erfüllt. Dem doppelten<br />
Anspruch, das Klischee zurückzuweisen und die dahinterliegenden Themen anzusprechen, kann erst<br />
entsprochen werden, wenn Funktionen und Kontexte von Antisemitismus erkennbar geworden sind.“ 471<br />
Manchmal scheint es wichtig, den Wi<strong>der</strong>streit in seiner Unauflösbarkeit aufrecht zu<br />
erhalten, manchmal wie<strong>der</strong>um gilt es, Position zu beziehen. Die Einschätzung und<br />
Entscheidung, was in welcher Situation zu tun ist, kann lei<strong>der</strong> nicht vorweggenommen<br />
werden. Sicher ist aber, dass eine fundierte Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Antisemi-<br />
469 Messerschmidt, Verstrickungen, S. 166.<br />
470 Ich beziehe mich hier auf den Begriff Wi<strong>der</strong>streit (Le Différend) von Jean-François Lyotard. Er definiert ihn<br />
folgen<strong>der</strong>maßen: „Im Unterschied zu einem Rechtsstreit wäre ein Wi<strong>der</strong>streit ein Konfliktfall zwischen<br />
(wenigstens) zwei Parteien, <strong>der</strong> nicht angemessen entschieden werden kann, da eine auf beide Argumentationen<br />
anwendbare Urteilsregel fehlt.“ Jean-François Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit, 2. Auflage, München 1989, S. 9.<br />
471 Fechler/Kößler/Messerschmidt/Schäuble, Einleitung, S. 27.<br />
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